Der Mitternachtsdieb: Roman
Antwort. „Kenji!"
Kenji schreckte aus seinen Gedanken hoch, als er seinen Namen rufen hörte. Er blickte auf. „Ja, Sir?"
„Ich habe dich etwas gefragt! Wo hast du denn deine
Gedanken?"
„Nirgends, Sir."
Er konnte dem Lehrer doch nicht gut sagen, daß er daran gedacht hatte, es bis nächsten Freitag kaum mehr erwarten zu können, bis das Geistermädchen wieder erschien und er es fragen konnte, von wem es ermordet worden war.
7. KAPITEL
Mitsue ging ausgesprochen gerne in die Schule. Anfangs hatte sie zwar befürchtet, es würde schwer sein, Freundschaften zu schließen. Doch sie hatte schnell herausgefunden, daß Amerikaner sehr kontaktfreudig, aufgeschlossen und warmherzig waren. Sie wurde zu ihren Klassenkameradinnen nach Hause eingeladen, zögerte allerdings mit Gegeneinladungen. Denn obwohl ihr Geist offensichtlich lediglich freitags um Mitternacht erschien, hielt sie es dennoch nicht für unmöglich, daß dies auch einmal mitten in einer ihrer Partys geschehen könnte. Wer wußte denn, was im Geist eines Geistes so vor sich ging? Mitsue fand, sie dürfe es nicht darauf ankommen lassen.
Auch Kenji war gern in der Schule. Weil er so intelligent war, kam er rasch voran. Eines Morgens nahmen sie in der Englischstunde Synonyme durch.
„Weiß einer", fragte der Lehrer wieder, „was ein Synonym ist?"
Ein Schüler rief: „Ist es vielleicht etwas Verbotenes, das man tut?"
Der Lehrer lachte. „Nein. Mit Sünde hat es nichts zu tun. Synonyme sind verschiedene Wörter für ein und dasselbe." Er wandte sich an Kenji. „Vielleicht kannst du uns Beispiele nennen, Kenji?"
Kenji stand auf. „Verschiedene Wörter für dasselbe?" „Ja."
Kenji dachte kurz nach. „Reich und wohlhabend."
„Gut. Noch eines."
„Krank, nicht gesund, leidend."
„Sehr gut. Weißt du noch welche?"
Kenji nickte. „Häßlich, unattraktiv."
„Sehr gut. Und jetzt wißt ihr alle, was Synonyme sind."
Der Grund, warum Kenji und Mitsue in der Schule so gut waren, lag darin, daß die Schulen in Japan sehr viel anspruchsvoller waren. Was ihre Klassenkameraden hier erst jetzt lernten, hatten sie schon lange gelernt. Und deshalb war die Schule hier für sie so leicht.
Auch ihr Vater Takesh Yamada kam in seiner Fabrik sehr gut voran. Er setzte einige ausgezeichnete Ideen zur Neuordnung des Werks in die Tat um, und diese begannen bereits ihre Früchte zu tragen. Die Gewinne stiegen stetig an.
„Es ist alles eine Frage der Effizienz", belehrte er seine Untergebenen. „Das Entscheidende ist, daß man alle überflüssigen und unnötigen Kosten einspart, ohne daß dabei aber die Qualität der Erzeugnisse leidet."
Jeder war von Mr. Yamada beeindruckt. Einer seiner leitenden Mitarbeiter fragte ihn: „Gefällt es Ihren Kindern hier?" „Ja, sehr." Doch noch während er es sagte, fragte Takesh Yamada sich, ob das wirklich stimmte. Sie waren zwar sehr gut in der Schule und mochten offensichtlich auch ihre Lehrer und ihre Wohnung. Aber da war dennoch irgend etwas in ihrem Verhalten in letzter Zeit, was er aber nicht weiter benennen oder greifen konnte. Beispielsweise stellten sich die beiden in eine Ecke und flüsterten miteinander, und wenn er sie danach fragte, gaben sie nur sehr vage und erkennbar ausweichende Antworten. Er wurde das Gefühl nicht los, daß sie etwas vor ihm verbargen. Er fragte also seine Frau Keiko danach. „Das habe ich ebenfalls schon bemerkt", sagte sie. „Die Kinder kommen mir nervös vor. Ich habe herauszufinden versucht, was es sein könnte, aber sie wichen mir aus." Sie fuhr achselzuckend fort: „Aber in der Schule kommen sie ausgezeichnet voran, also kann es wohl kein sehr gravierendes Problem sein. Wahrscheinlich ist es einfach nur eine bestimmte Kindheitsphase, die sie gerade durchmachen."
Damit endete das Gespräch der Eltern dann auch schon.
Eines der schwierigsten Dinge, mit denen die beiden Kinder fertig werden mußten, war die Tatsache, daß sie in eine Gemeinschaftsschule gingen. In Tokio war Mitsue in einer reinen Mädchenschule gewesen und Kenji in einer reinen Knabenschule. Jetzt sahen sie sich plötzlich in gemeinsamen Klassen beider Geschlechter. Kenji war in Anwesenheit von Mädchen sehr nervös. Er war ein attraktiver Junge, und die Mädchen der Klasse starrten ihn ständig an, was ihn enorm verlegen und unruhig machte. Das einzige Mädchen, in dessen Anwesenheit er keine Verlegenheit und Nervosität empfand, war seine Schwester. Mit den Jungs in der Klasse zu sprechen war leicht für
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