Der Moderne Knigge
überflüssig, auf Grund mancher Erfahrungen zu belehren, zu warnen, zu leiten und dazu beizutragen, daß nicht zu viel Schaden angerichtet werde.
Die Hauptarbeit bietet dem modernen Knigge natürlich
die Reise.
Der Sommer ist die Reisezeit. Meines Wissens existiert noch kein Werk über den Umgang mit Reisenden. Dieser Umgang ist ein ganz anderer als der mit Menschen. Reisende sind meist keine Menschen, wenigstens keine ganz normalen. Es ist erstaunlich, was die Reise aus einem Menschen machen kann. Jedenfalls etwas anderes, als er bis zu dem Augenblick gewesen, wo er in den Besitz der Fahrkarte oder des Rundreisebüchleins gelangt ist. Ganz umgängliche Menschen werden das Gegenteil. Nur die langweiligen, lästigen und ungebildeten Menschen bleiben, was sie sind, wenn sie nicht noch eine Nummer langweiliger, lästiger und ungebildeter werden, was man aber nicht konstatieren kann, weil man sie erst kennen lernt, wenn sie im Waggon sitzen, oder im Hotel abgestiegen sind. Eine ganz besonders merkwürdige Gruppe bilden die in Deutschland reisenden
Engländer.
Trifft man im Waggon einen Menschen, der es jedem Mitreisenden übel zu nehmen scheint, daß er nicht zuhause geblieben ist, so ist er ein sogenannter Sohn Albions. Dieser alte Albion hat seine Söhne merkwürdig erzogen, er hat ihnen vor allen Dingen eingeredet, ihnen gehöre die Welt, und sie hätten daher das Recht, die Bewohner anderer Länder als Eindringlinge zu betrachten und also zu behandeln, wie Eindringlinge dies verdienen. Als gehorsame und die Aussprüche ihres Erzeugers als den Ausdruck der höchsten Weisheit schätzende Söhne handeln sie nach den ihnen eingeimpften Lehren.
Es ist ein Beweis für die Gleichgültigkeit, welche die Eisenbahnverwaltungen den Reisenden widmen, daß sie, wie sie eigene Coupés für Raucher und Damen und eigene Waggons für Pferde, Hunde, Gänse und andere landwirtschaftliche Bevölkerungsklassen eingerichtet, nicht auch Coupés für Engländer ins Rollen gebracht hat.
Wenn in dem Augenblick, wo man das Waggonfenster geschlossen wünscht, jemand das Waggonfenster öffnet und auf die Bitte, dies zu unterlassen, keine Antwort giebt, so ist es ein Engländer.
Wenn in dem Augenblick, wo jemand das Waggonfenster geschlossen wünscht und man es öffnen will, was aber der Fensterschließer nicht duldet, so ist es gleichfalls ein Engländer.
Will sich der Reisende wohl fühlen, so setze er sich einem Engländer gegenüber, der den Gegenübersitzenden nicht die Füße auf den Schooß legt. Thut er es aber nachher, so scherze man, der Engländer sei gut aufgelegt , sonst beginnt er zu boxen.
Bevor man auf die Reise geht, lerne man aus diesem Grunde boxen. Das Boxen ist in acht Wochen vollständig zu lernen, wenn man von dem Faustprofessor nicht in den ersten vier Stunden totgeboxt wird. In diesem Fall ist es nichts, und man kommt in den Himmel, ohne boxen zu können.
Kann man boxen, so nehme man den Kampf mit dem Engländer auf, gegen den man nicht aufzukommen vermag, weil ihm die Grazien das Boxen in die Wiege gelegt haben.
Spricht der Engländer deutsch, so ist es kein Engländer. Nur wenn er keine Antwort giebt, weil man nicht englisch spricht, dann ist er echt.
Findet man auf der Veranda eines Hotels ein Paar Stiefel auf einem Sessel, so wird es von einem auf einem danebenstehenden Stuhl sitzenden Engländer getragen.
Ärgern sich Engländer, daß sie nicht allein, sondern daß auch Angehörige anderer Nationalitäten in einem Hotel sind, so bemerke man dies mit innigem Vergnügen, bedaure aber die Angehörigen anderer Nationalitäten. Denn es ist menschlich, so zu handeln.
Findet man, daß die Engländer irgendwo durch große Gentilität das Leben verteuert haben, so irrt man sich. Denn sie sind immer gute Kaufleute gewesen und haben stets lieber genommen als gegeben.
Sitzt man in einem Coupé für Nichtraucher und ein Engländer raucht, so mache man ihn darauf aufmerksam, daß dies nicht erlaubt sei, und gehe dann, da dies nicht berücksichtigt wird, in ein Coupé für Nichtraucher. Denn es ist vor allem nötig, daß man sich nichts gefallen läßt.
Man glaube aber nicht, daß die Engländer die einzigen unangenehmen Reisenden sind, denn die Täuschung wäre zu groß.
Ist man
im Hotel
eben eingeschlafen und es wird im Nebenzimmer gesungen oder laut geschwatzt, so wache man nicht auf, da das Wiedereinschlafen nicht leicht zu sein pflegt. Man werfe dann auch nicht einen Stiefel an die Thür des geräuschvollen
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