Der Moderne Knigge
Dame ein Geburtstag immer ein peinliches Fest sei, weil er sie nur in seltenen Fällen jünger zu machen pflege.
Ist man bereits verheiratet, so trete man unerschrocken an die Dame heran, falls sie von einer Tochter umgeben ist. Ich wähle mit Vorbehalt dieses falsche Wort, weil eine Strohwitwe, die eine Tochter zur Seite hat, ungemein umgeben ist. Ist man aber unverheiratet, ohne Praxis im Ausweichen zu haben, und nicht verliebt, so sei man kein Egoist, sondern überlasse den Platz einem Würdigeren, der vielleicht ohnedies unrettbar der Ehe verfallen ist. Dies erkennt man am leichtesten daran, daß man von ihm mit geringschätzenden Blicken betrachtet wird.
Sind der Strohwitwe eines Tages alle verheirateten Männer sehr gleichgültig, so sind nur zwei Fälle möglich: entweder erwartet sie im Laufe des folgenden Tages ihren lieben Gatten oder einer der jungen Männer hat um die Hand ihrer Tochter gebeten. In keinen der beiden Fälle thue man eine schadenfrohe Äußerung.
Man setze sich in den Feriengegenden nicht zu Damen, welche Strümpfe stricken. Man kann Strümpfe für ungemein nützlich und notwendig halten, ohne sie gerne entstehen zu sehen. Aber man kann sie auch dann und wann gerne entstehen sehen, ohne darin eine Vergnügungssucht befriedigen zu wollen. Man achte also das Strümpfestricken hoch, erblicke darin eine gute alte Sitte, störe aber die Damen nicht, damit man plaudernd durch frivoles Ablenken nicht etwa die Verknüppelung des Strumpfs verschulde. Allerdings wird solche Zurückhaltung von den Strickerinnen mißverstanden werden.
Anders verhalte man sich gegenüber solchen
Damen, welche schreiben-
Trifft man, wie es sich wohl von selbst versteht, schreibende Damen, so setze man sich doch lieber zu den Damen, welche Strümpfe stricken, so schwer man sich dazu entschließen mag.
Glaubt man aber, man könne die schreibenden Damen in ihrem unmäßigen Novellendichten stören, so setze man sich zu ihnen. Bliebe dadurch auch nur eine einzige Novelle ungeschrieben, so darf man sich schon dieser Störung als einer Wohlthat rühmen. Aber man wird dies niemals können, denn von den etlichen Millionen Metern Novellen, welche jährlich von Damen geschrieben werden, bleiben nicht zwei Meter ungeschrieben.
Man nehme sich aber wohl in Acht, in einer Damengesellschaft über die Blaustrümpfe etwas Böses zu sagen, denn man verletzt die Hälfte der Anwesenden nicht nur, welche schreiben, sondern auch die andere Hälfte, welche jedenfalls bereits beschlossen hat, nächstens zur Feder zu greifen.
Lernt man eine Dame kennen, von der man sagen hört, sie schriebe keine Novellen, so juble man nicht zu früh, denn es wird sich bald herausstellen, daß es nicht wahr ist.
Wird man von einer Dame eingeladen, eine ihrer Novellen anzuhören, so mißverstehe man und sage dankend, man habe bereits gefrühstückt.
Wird man von einer Dame eingeladen, welche keine ihrer Novellen vorlesen will, so verfahre man ebenso, um auszuweichen, denn sie würde trotzdem eine ihrer Novellen vorlesen.
In der Reihe noch anderer Sommerunterhaltungen nehmen die
Extrazüge
einen ziemlich hervorragenden Platz ein. Die Extrazüge, Sonderzüge genannt, werden von den Eisenbahnverwaltungen lediglich im Interesse des reiselustigen Publikums eingerichtet, um ihre ohnehin großen Einnahmen zu erhöhen.
Sie sind immer sehr überfüllt, gewähren dem Reisenden kein Freigepäck, behandeln ihn selbst wie ein Stück Gepäck, verbilligen die Reise nur um ein Geringes und werden vom Publikum zum Vergnügen benutzt.
Man stelle sich mit großer Pünktlichkeit auf dem Bahnhof ein, nämlich eine halbe Stunde vor der angekündigten Abgangszeit, um mit aller Bequemlichkeit nicht an den Schalter heranzukommen und nicht in den Besitz einer Fahrkarte zu gelangen.
Hat man dann endlich eine der letzten Fahrkarten erwischt, so beeile man sich, in den Waggon zu kommen, um, da dieser bereits überfüllt ist, einen anderen Waggon zu suchen, in welchem gleichfalls kein Platz vorhanden ist.
Nun wende man sich an den Schaffner, wenn man ihn gefunden hat, und lasse sich von diesem zu den vorderen Waggons schicken. Hier wende man sich an den Schaffner, wenn man ihn gefunden hat, und lasse sich von diesem zu den hinteren Waggons senden. Daselbst wende man sich an den Schaffner, wenn man ihn gefunden hat. Von diesem wird man zu den mittleren Waggons befohlen.
Hat man diesem Befehl Folge geleistet, so steige man in einen bereits besetzten Wagen, lasse sich von dem
Weitere Kostenlose Bücher