Der Moderne Knigge
eigentlichen Grund und zu beiderseitigem Bedauern oft schon nach ein- oder zweiminutlicher Plauderei zu kommen pflegt.
Es ist hier nicht der Ort, alle Ehepaare zu fragen, ob eine dann und wann stattfindende Trennung das eheliche Glück empfindlich stören, ja, ob eine solche nicht am Ende gar als eine nützliche Unterbrechung geschätzt werden würde. Eine solche Frage würde schon deshalb keine rechte Bedeutung haben, weil vielen Gatten von ihren besseren Hälften verboten würde, eine ehrliche Antwort zu geben. Trotzdem würde sich ganz gewiß eine imposante Majorität für eine Trennung in den Ferien aussprechen.
Als allzu Verheirateter wird man natürlich vor keine leichte Aufgabe gestellt, wenn man der Gattin und dem etwaigen Kindersegen gegenüber eine Trennung durchsetzen soll. Mit den beschönigenden Redensarten »
Toujours perdrix
«, »
Variatio delectat
« und der Versicherung, daß der ewig blaue Himmel nur gewinnen könne, wenn sich einmal für kurze Zeit eine andere Farbe hineinmische, ist wenig gethan, weil sie nicht immer ohne weiteres für ehrlich gehalten werden. Man spiele daher mit dem Arzt unter einer Decke. Ist der Arzt selbst verheiratet, so bedarf es keiner weiteren Motivierung, um die nötige Trennung herbeizuführen.
Hat man diese durchgesetzt, so unterlasse man es nicht, während der Vorbereitungen zur Reise mit Bedauern von dieser Trennung zu sprechen. Dasselbe ist auch der Gattin zu empfehlen. Beide haben dies aber nicht zu übertreiben, damit das Erreichte nicht dadurch gefährdet werde, daß der eine oder der andere Teil im letzten Moment dem Jammer ein Ende macht und sich entschließt, mit in die Verbannung zu ziehen.
Als Ort, wo man die Ferien verbringt, ist kein naheliegender zu wählen, da die Verkehrsmittel heute zu leicht namentlich die Sonntage unsicher machen und die Familie zu Besuchen verführen. Jedenfalls wird es in naheliegenden Ausspannorten die litterarische Aufgabe des Gatten oder der Gattin sein, das Wetter so schlecht zu machen und die vorhandenen Vergnügungen so erbarmungslos herabzusetzen, daß den Adressaten die Lust zur Visite vergeht.
Es braucht wohl nicht besonders betont zu werden, daß nur Männer wegen übermäßiger Ehe nach einer längeren oder kürzeren, meist aber längeren Trennung zu verlangen das Recht oder das Bedürfnis haben sollen. Ist es bisher nicht betont worden, daß ebenso die Frau und ebenso häufig wie der Mann zu der Einsicht gelangen kann und auch thatsächlich zu der Überzeugung gelangt, daß sie fast zu sehr verheiratet sei und daß eine Erholung erfreulich wirken könne, so soll dies hier ausdrücklich geschehen. In der Ehe gilt der Grundsatz: Gleiches Unrecht für alle.
Hört man eine Frau in den Ferien beklagen, daß sie allein in die Sommerfrische geschickt oder allein zu Hause geblieben sei, so stelle man ihr das Zeugnis aus, daß man von ihr höchst taktvoll zum besten gehalten worden sei.
Hört man einen Mann in den Ferien darüber jammern, daß er sich einsam fühle und außer sich darüber sei, daß seine Gattin ohne ihn reiste oder allein zu Hause blieb, so bitte man ihn, daß er sich für seine Komödie einen anderen Dummen aussuchen möge.
Trifft man in der Ferienfrische
Strohwitwer,
während man selbst mit der Gattin anwesend ist, so suche man sich dadurch einigermaßen schadlos zu halten, daß man die Strohwitwer, wenn man sie in Gesellschaft von Damen trifft, nach dem Befinden ihrer Gattin und Kinder fragt. Es ist ihnen dies meist unangenehm, und das kann doch recht amüsant sein.
Hat der Strohwitwer noch keine Enkel, so frage man ihn auch nach dem Befinden dieser. Es handelt sich doch nur darum, daß man ihm Enkel zutraut, und dies ist ihm gleichfalls sehr fatal. Man entschuldige sich natürlich tausendmal, daß man sich geirrt habe, an der Sache ändert dies durchaus nichts.
Will man den Strohwitwer recht unbefangen ärgern, stören oder ihm die gute Laune verderben, so betrete man, wenn man von seinen Angehörigen spricht, den Weg des unbegrenzten Lobes, man frage nach seiner schönen, mit ewiger Jugend begabten Gattin, schildere seine Töchter als mit verblüffender Bildung ausgestattete Ballköniginnen und sehe in seinen Söhnen die kommenden Männer. Dann ist der Strohwitwer entwaffnet und das vorbereitete Wort Tölpel oder ein ähnliches erstirbt ihm auf der Lippe.
Ist man selbst Strohwitwer, so sei man gegen andere Strohwitwer genau so, wie man von ihnen behandelt sein will. Das ist für sie
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