Der Moderne Knigge
einzusehen, daß er in das Gegenteil geraten ist.
Schon bei der Ankunft in der Einsamkeit lernt man die Wirtsleute und deren Verwandte als biedere Menschen kennen, welche Anschluß suchen, während des Winters viel allein waren und sich freuen, nun jemand gefunden zu haben, mit dem sie sich aussprechen können. Dies beginnt schon am ersten Abend.
Da der Ort, in welchem man sich der Einsamkeit erfreuen will, so schön gelegen zu sein pflegt, so wird er von vielen Passanten gestreift, unter denen man Bekannte findet, die man nicht verletzen will und daher bittet, einige Zeit zu verweilen, wodurch die Einsamkeit angenehm belebt wird.
Befinden sich unter diesen Passanten Männer, welche gleichfalls die Einsamkeit aufsuchen, so ist der Skatpartie die Bahn geebnet.
Der Einsame sei anderen Einsamen gegenüber möglichst taktvoll und zwinge sie nicht, länger zu bleiben, als sie ihre Einsamkeit zu unterbrechen wünschen. Man sage sich, wie man selbst es beurteilen würde, wenn jemand allein zu sein wünscht und es nicht durchsetzen könnte, einen Besuch zu beenden.
Man wird die Einsamkeit besonders angenehm finden, wenn man den Besuchern in irgend einem Kartenspiel ziemlich viel abgewinnt. Gewinnen dagegen die Besucher, so werden diese die Einsamkeit ihres Freundes verwerfen und ihm versprechen, morgen wiederzukommen.
Taucht im Laufe der Unterhaltung bei dem einen oder andern die Idee auf, einen Klub der Einsiedler zu gründen, so trete man diesem nur unter der Bedingung bei, daß man ohne weiteres wieder austreten könne, wenn sich mehr als fünfzig Mitglieder zusammenfinden und infolgedessen der Lärm zu groß wird.
Findet man, daß die ländliche Einsamkeit durch die Gesellschaft zu eintönig geworden, so unternehme man in der tiefsten Verschwiegenheit eine Fahrt in die nächste größere Stadt und steige daselbst unter fremdem Namen in einem Hotel ab, aber nur dann, wenn man das schauspielerische Talent hat, sich zu verleugnen, falls man beim Eintreffen sofort erkannt und begrüßt wird, was nicht zu vermeiden ist.
Ist man verheiratet und hat allein die Einsamkeit aufgesucht, so teile man vor der Abfahrt in die größere Stadt der Gattin mit, daß man sich daselbst nur so lange aufhalten werde, als nötig ist, ihr etwas aus der Einsamkeit mitzubringen. Dies wird zwar nicht geglaubt, versöhnt aber zugleich.
Mit der weiblichen Bedienung der Einsamkeit kann man nicht vorsichtig genug sein, da sie durch vorangegangene Einsamlinge schon gewitzigt zu sein pflegen.
Ist man Radler, so nehme man das Zweirad nicht in die Einsamkeit mit, da der Zweiraddieb aus der Umgegend dahin zu kommen pflegt.
Will man eine ganz ernsthafte Einsamkeit schaffen, so schildere man dem ersten Besucher eine finanzielle Krisis, in der man sich befinde, und fordere ihn auf, zu ihrer Hebung beizutragen. Dies verbreitet sich wie ein Lauffeuer, und bald wird kein Mensch mehr die Schwelle des Einsamen überschreiten, wenn man keine Gläubiger hat.
Eine Hauptsache für das persönliche Behagen ist und bleibt
das Sommerwetter
und wie man es auszunutzen und sich gegen seine Unbill zu schützen weiß. Hat man kein Vertrauen zu der Falb schen Prognose, so kann man auch ohne solches vielfach getäuscht werden, weshalb zu raten ist, daß man im Gegenteil ein Anhänger der Falb schen Theorie werde, damit man für eigene Irrtümer eine Entschuldigung habe, und weil der Laubfrosch, falls man einen solchen aufgestellt haben sollte, nicht des wissenschaftlichen Ansehens genießt und nur als tüchtiger Fliegenfänger anerkannt wird.
Zuverlässiger als der Laubfrosch ist der Regenschirm. Ist man ohne solchen ausgegangen, so ist ein plötzlicher Niederschlag zu erwarten, obschon es auch trocken bleiben kann, und hat man den Regenschirm mitgenommen, so bleibt es wahrscheinlich trocken, obschon es auch zu regnen anfangen kann.
Hat man einen neuen Hut, so ist ein hartnäckiger Landregen zu erwarten, als habe man einen neuen hellen Anzug angelegt. Wird man hierauf aufmerksam gemacht, so entferne man sich nicht zu weit von einem Wirtshaus, in welchem man beim Eintritt eines Unwetters eine Flasche Wein findet, die natürlich nicht zu trinken ist und daher einen längeren Aufenthalt im Wirtshaus möglich macht.
Bekommt man auf die Frage, ob das Wetter schön und trocken bleibe, eine bejahende Antwort, so gehe man auf die Gefahr hin, die Bejahenden zu beleidigen, nicht ohne Regenschirm aus, da sie nicht naß würden, wenn man ohne Regenschirm ausgegangen wäre
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