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Der Mönch in Weimar: Ein Schauerroman nach alter Mode (German Edition)

Der Mönch in Weimar: Ein Schauerroman nach alter Mode (German Edition)

Titel: Der Mönch in Weimar: Ein Schauerroman nach alter Mode (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Röder
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aus dieser misslichen Lage befreien konnte – da war er auf eine unbekümmerte Weise guter Dinge –, als vielmehr, wie er Lewis wieder unter die Wachen und Lebenden befördern konnte. Goethe stieß die Fäuste in die Rocktaschen und gab einen unterdrückten Schmerzenslaut von sich. Schnell zog er die Hände wieder heraus, hob die Rechte vors Gesicht und sah, wie im schwachen Licht zwei dunkle Tr ö pfchen aus den Fingerspitzen quollen. Er hob die Brauen, als erstaune ihn das Blut, und dann griff er beherzt, aber vorsichtig erneut in die Tasche und förderte das zerbrochene Prisma hervor. Er drehte es zwischen den Fingern und betrachtete, wie sich der Schein der Laternen darin brach. Dann richtete er den Blick auf den vor sich hindämmernden Lewis.
    „Wenn er schon wie mesmerisiert dasitzt, vielleicht ...“, brummte Goethe und setzte sich vor den Engländer in den Staub. Er platzierte die beiden Laternen links und rechts in gleicher Distanz zu sich und Lewis und hob erneut dessen Kopf an.
    Lewis blinzelte schwach.
    Goethe hob das gesplitterte Prisma und fing das Licht ein, das sich farbig brach und in Lewis’ Augen zu glänzen begann. Der Geheimrat bewegte das Kristallglas auf und ab, hin und her und musterte aufmerksam das Antlitz des jungen Mannes, ob sich eine Regung darin zeigte. Nach einigen Augenblicken ließ Goethe das Prisma sinken, doch dann hob er es erneut und begann wiederum mit dem Lichterspiel.
    „Lewis ... Lewis ... hören Sie mich ...?“ Er versuchte, seiner Stimme einen beschw ö renden, monotonen Klang zu geben, wobei ihm ersteres gut gelang, letzteres weniger. Goethe wiederholte seine Worte und funkelte Lewis an, sowohl mit dem Prisma als auch mit den Augen. Das vollzog er ein paarmal, doch dann gab er es auf. Er wusste auch nicht recht, was er da tat. Einen Versuch war es allemal wert gewesen, denn vielleicht hätte Lewis auf diesen – wenn auch laienhaften – Versuch des Mesmerisierens ähnlich reagiert wie vor Tagen in Tiefurt.
    Ein Aufschrecken aus der momentanen Starre wäre ein Gewinn gewesen.
    Goethe steckte das Prisma wieder ein. Er schnaubte kurz. Dann sagte er noch einmal: „Lewis?“
    Als keine Antwort kam, holte Goethe aus und versetzte dem Engländer eine kräftige Ohrfeige. Das Klatschen hallte scharf von den Wänden wider. Wenn Lewis’ Wange ebenso brannte wie seine Hand, dachte Goethe, müsste er tatsächlich tot sein, um dies nicht gespürt zu haben. Er hielt die Hand erhoben und wollte ein weiteres Mal ausholen, als Lewis zurückzuckte und sich traumwandlerisch an die Wange fasste. Er keuchte und hob den Blick, der wieder völlig klar schien. „What ...“
    „Wunderbar!“, rief Goethe. „Sie sind wieder Sie selbst!“ Er rieb sich die Hände. „Ich wusste, dass all der übersinnliche Aberglaube nichts ist gegen handfeste ...“
    Lewis rieb sich die Wange. „Haben Sie mich geschlagen?“
    „Keineswegs!“, sagte Goethe schnell. „Ich habe Sie ins Land der Lebenden zurückgebracht. Sie waren gehörig weggetreten.“
    Lewis sah sich um, an Goethe vorbei, und schon wurde sein Blick wieder matt. „Wir sind unter der Erde ...“
    Goethe klatschte beide Hände rechts und links in das Gesicht des Engländers. „Schauen Sie mich an! Sie werden jetzt nicht wieder diesen Unsinn veranstalten! Bleiben Sie wach! Ihren Marotten nachgehen können Sie, wenn wir wieder aus diesem Gang heraus sind.“
    Lewis sah Goethe groß an und blinzelte nervös.
    „Haben Sie mich verstanden?“, blaffte Goethe und schaute grimmig drein, bis Lewis seine Zustimmung hauchte. Dann drückte er ihm eine Laterne in die Hand. „Auf die geben Sie acht. Scheren Sie sich um nichts um sie herum. Achten Sie auf die Laterne und auf mich. Folgen Sie mir!“
    Goethe stand auf und reichte Lewis die Hand, der sich mit zitternden Knien auf die Füße stellte. Dann ging Goethe tiefer in den Stollen hinein, den Blick alle paar Atemzüge nach hinten werfend, um zu sehen, ob der Engländer ihm folgte.
    Lewis’ Welt war auf die matte Lichtsphäre der Laterne beschränkt. Er versuchte, nicht daran zu denken, was sich um ihn befand, sich nicht die Massen an Gestein vorzustellen, die jenseits der Stollenwände lauerten. Vor ihm bewegte sich der Schattenriss Goethes, und er folgte diesem wie ein Wanderer im Moor dem Irrlicht. Seine Wangen brannten noch immer von den Schlägen, die ihm der Geheimrat versetzt hatte. Sie brannten aber auch vor Zorn und Scham darüber, was geschehen war. Lewis schalt sich selbst, weil

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