Der Mönch in Weimar: Ein Schauerroman nach alter Mode (German Edition)
einen hellen Fleck auf dem Boden des Stollens. Er trat hinzu und war mit einem Mal in Licht gehüllt. Den Kopf in den Nacken legend konnte er einen schmalen Schacht hinaufblicken, der weit oben in einem strahlenden Stück Tageslicht endete, das Lewis blendete.
„Was ist das?“, fragte er Goethe.
„Eines der Lichtlöcher, die jeden Stollen mit der Oberfläche verbinden, für Bewetterung und Gegenortbetrieb ... aber das soll uns einerlei sein, für uns ist es der Weg in die Freiheit.“
Lewis räusperte sich. „Ich bin froh, dass Sie sich mit Bergwerkskunst so gut auskennen. Ich hätte an der Einsturzstelle gewartet, bis Hilfe gekommen wäre.“
„Das ist kein unkluger Gedanke, im Grunde genommen. Mir aber schien es zu unsicher, in diesem mürben Stollen zu bleiben. Deshalb musste ich Sie auch so schnell als möglich wieder auf die Beine bekommen.“ Goethe verzog den Mund. „Ich bitte Sie für die Maulschelle um Entschuldigung. Leider hatte nichts anderes gefruchtet.“
Lewis hob unwillkürlich die Hand ans Gesicht und rang rasch die unwillkürlich auftauchenden Gedanken nieder. „Nein, das war gerechtfertigt ... Sie mussten ...“
„Es tut mir ebenso leid, dass ich Sie hier in die Erde hineinkomplimentiert habe, und das Ganze nach dem höllischen Dorfbrand.“ Mit einem Mal legte er den Kopf schief und zwinkerte, als sei ihm eine Erkenntnis gekommen. „Da ich Sie auch zweimal in luftige Bergh ö hen entführt habe, bitte ich Sie inständig, von einer Schiffsreise mit mir abzusehen. Falls Sie nicht unbedingt die vier Elemente durchspielen wollen ...“ Er zuckte die Achseln, und dabei fiel etwas Staub von seinen Schultern. „Ts, ts.“ Goethe schnalzte mit der Zunge.
Lewis grinste. „Nur wenn Sie mir versprechen, dass wir hier nicht zu Staub zerfallen.“
Goethe lachte. „Ironie! Sehr gut, das baut auf. Mir scheint, Sie sind wieder auf dem Damm.“ Er blinzelte ins Licht. „Mir selbst flößt das Sonnenlicht auch neue Kraft ein, und die brauchen wir.“ Goethe stellte die Laterne neben sich auf den Boden, Lewis behielt seine fest in der Hand.
„Wollen Sie damit sagen, wir müssen dort hinaufklettern? Ich bezweifle, dass ich dazu in der Lage bin, es erscheint mir sehr hoch, und ich bin keineswegs ein geübter Kletterer.“
Der Engländer war noch bleicher geworden, als er ohnehin erschien, und Goethe führte das auch nicht auf das fahle Licht zurück, das durch den Schacht auf ihn fiel. Lewis sah gespenstisch aus, seine Augen lagen tiefer in den Höhlen als sonst, das Haar fiel staubig und verworren in die Stirn, und seine Wangen waren von schwarzem Bartwuchs beschattet. Goethe zweifelte nicht daran, dass er einen ähnlichen Anblick bot, aber Lewis strahlte neben all diesem immer noch ein gewisses Maß an geistiger Verwirrung aus. Goethe machte sich Sorgen um den Engländer, der seinen Zustand tapfer überspielte, aber dennoch, wie es schien, kurz davor stand, erneut die Nerven zu verlieren. Schweiß schimmerte auf Lewis’ bleicher Stirn, und Goethe war sicher, dass dieser nicht von dem Lauf durch den Stollen herrührte.
Er war froh, dass er Lewis eine vergleichsweise positive Mitteilung machen konnte. „Seien Sie beruhigt. Alles, was Sie zu tun haben, ist, mir alles nachzuahmen ...“
Lewis musterte Goethe mit angsterfülltem Gesichtsausdruck. Dann öffnete er den Mund, als der Geheimrat kurzerhand die Rockschöße anhob und sich im Schneidersitz auf dem Boden niederließ. „Setzen Sie sich. Das ist doch nicht schwer!“ Lewis zögerte und schaute verständnislos auf Goethe hinunter, der sich leicht mit dem Oberkörper hin und her wiegte und sich den Staub von den Schultern wischte. Dann hob er wieder den Kopf. „Setzen Sie sich. Etwas Ruhe kann Ihnen nur guttun.“
Lewis warf den Kopf von einer Seite zur anderen und gestikulierte mit der freien Hand. „Aber wir müssen hier heraus!“
Goethe schnaubte. „Klettern wollen Sie nicht, warten wollen Sie nicht. Sie wollen doch nicht etwa graben?“ Er musterte den fahrig zappelnden Engländer und überlegte ernsthaft, ob er dem jungen Mann ein weiteres Mal eine langen sollte. Eine saftige Watsche würde ihn zur Besinnung bri ngen. Aber der Geheimrat hielt sich zurück. „Setzen Sie sich. Wir können nichts weiter tun, als zu warten!“
„Worauf?“, fragte Lewis scharf, und Goethe bemerkte, wie der Akzent des Engländers wieder stärker wurde, wie er die Beherrschung zu verlieren drohte. Es schien ihm vernünftig, den jungen Mann zu
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