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Der Mönch in Weimar: Ein Schauerroman nach alter Mode (German Edition)

Der Mönch in Weimar: Ein Schauerroman nach alter Mode (German Edition)

Titel: Der Mönch in Weimar: Ein Schauerroman nach alter Mode (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Röder
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Schleier seiner verklebten Lider sah er Goethe im Lichtkreis einer Laterne kauern. Gerade entflammte er den Docht der zweiten, und deren Schein beleuchtete deutlicher die Szenerie. Dunkle Schatten, graue Wände. Fels und Geröll. Sie waren noch in der Erde eingeschlossen!
    Lewis schrie.
    Goethe ließ klappernd die zweite Laterne fallen und schüttelte die Hand, deren Finger durch die Flamme gefahren waren. Er starrte Lewis an, das Antlitz flackernd von unten beleuchtet, so dass es aussah wie eine Höllenfratze. Lewis schrie noch mehr und setzte sich hastig auf, wobei er hektisch mit Armen und Beinen strampelte. Staub wirbelte auf, Steinchen rollten, und als Lewis mit dem Rücken gegen die Stollenwand prallte, rieselte es breitflächig an ihr herunter. Goethes Augen weiteten sich, und er schoss hoch, setzte mit einem Sprung zu Lewis hinüber und packte ihn an den Schultern. Er zerrte den Engländer von der Wand weg, und als der immer noch schrie, schüttelte Goethe ihn grob.
    „Um Himmels Willen! Kommen Sie zur Besinnung! Sie lösen noch einen Sturz aus!“
    Lewis öffnete die Augen wieder und sah im Licht der Laterne Goethes zorngefurchtes Gesicht nur eine Handbreit von seinem eigenen. Er erschrak, versteifte sich in Goethes Griff und wurde dann schlaff. Seine Unterlippe zitterte. „Yes, father ...“
    „Was?“, rief Goethe und reckte das Kinn vor. Im selben Moment sah er, was in Lewis’ Z ü gen vor sich ging, dass die Panik einer Mischung aus Scheu und Furcht gewichen war, die dem jungen Mann den Anschein eines verschreckten Kindes gaben. Goethe l ö ste die Finger von den Schultern des Engländers und musste sogleich wieder zupacken, als dessen Knie nachgaben. Er ließ Lewis sanft zu Boden sinken, bis dieser mit hängendem Kopf sitzenblieb. Dann ging Goethe zu den Laternen, entzündete die zweite erneut und brachte beide mit zu Lewis.
    Der atmete schwer und stockend, es schien Goethe beinahe wie ein Schluchzen.
    „Lewis?“
    Der hob plötzlich den Kopf und sah Goethe an, als erkenne er ihn nicht. Vielmehr schienen seine Augen leblos und matt, und Goethe fürchtete, die Gefühlsentladung des Engländers sei ein letztes Aufbäumen des geschundenen Geistes gewesen, und nun sei Lewis in die Dämmerung des Wahnsinns getreten. Der Geheimrat erinnerte sich an Lewis’ Äußerung, dass er an Angst vor dem lebendig Begrabensein leide, und mit einigem Schmerz musste Goethe sich eingestehen, dass er Lewis in just diese Lage gebracht hatte, indem er ihn zu diesem Stollenbesuch ermunterte. Dennoch – es wäre nicht dazu gekommen, wenn die beiden Männer, Muntzer und Weihrach, nicht dieses erst seltsame, dann verzweifelte Gebaren an den Tag gelegt hätten.
    Goethe verzog die Lippen und biss die Zähne aufeinander. Was für ein Verrat war hier im Gange? Muntzer hatte Weihrach erschossen, dessen Leiche jetzt unter den Steinen begraben lag. Goethe ballte die Fäuste. Diesen Mord galt es zu sühnen, die Hintergründe aufzukl ä ren, außerdem den jungen Lewis aus diesem Grab hinauszuschaffen, bevor er tatsächlich dem Wahnsinn anheimfiel.
    Goethe schob Lewis, der den Kopf wieder hatte sinken lassen, die Finger unters Kinn und drückte dessen Antlitz ein wenig nach oben. Dann hob er die Laterne und hielt sie über ihre Köpfe.
    „Lewis? Antworten Sie mir, ich bin es, Goethe“, sagte er langsam und schaute Lewis fest ins Gesicht.
    Lewis ließ keine Regung erkennen, er sah vermeintlich durch Goethe hindurch, als sei der nur ein Schleier aus Staub.
    „Lewis! Hören Sie mich?“ Er schwenkte die Laterne ein wenig, um Lewis’ Aufmerksamkeit vielleicht durch diese Bewegung zu erlangen, doch ohne Erfolg. Goethe setzte die Laterne ab, zog die Hand unter Lewis’ Kinn weg, der prompt den Kopf auf die Brust sinken ließ, und stand auf. Er tastete in den Innentaschen seines Rockes nach dem Riechfläschchen, das er gemeinhin bei sich trug, und fand es nicht. Er konnte sich nicht erinnern, ob er es nicht eingesteckt oder es verloren hatte. Immerhin fand er in der betreffenden Tasche ein Loch, doch der Ärger darüber nutzte ihm nur wenig. Goethe grunzte, rieb sich das stoppelige Kinn und ärgerte sich noch mehr, als er daran dachte, dass in seinem Reisemantel, draußen auf dem Wagen, eine Taschenflasche mit einem stärkenden Schluck immer wärmer wurde, während hier die unterirdische Kälte umherkroch.
    Er stapfte auf dem wenigen Raum, den der Stollen bot, hin und her und zermarterte sich das genialische Hirn. Weniger, wie man sich

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