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Der Mönch in Weimar: Ein Schauerroman nach alter Mode (German Edition)

Der Mönch in Weimar: Ein Schauerroman nach alter Mode (German Edition)

Titel: Der Mönch in Weimar: Ein Schauerroman nach alter Mode (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Röder
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hoffte, dass die Witwe keine schwierigeren Fragen stellen würde, denn er hatte Mühe, den breiten Dialekt zu verstehen.
    „So, so“, sagte die Recknagel, und ihre Augen wurden schmal. Lewis sah sie so offen an, wie er konnte. Die Frau erinnerte ihn an einen Bluthund, der die Witterung des Fuchses aufgenommen hatte. Leider war er der Fuchs, und er konnte nicht fortlaufen. Sein zukünftiger Bau war gleichzeitig der Zwinger der Witwe Recknagel.
    „So, so“, wiederholte die Frau und wischte ihre Hände an der Schürze ab. Was auch immer sich an ihren Fingern befunden haben mochte hinterließ gut sichtbare Spuren auf dem nicht mehr ganz hellen Stoff. Sie musterte Lewis wieder. Sein Gepäckträger räusperte sich und spie aufs Pflaster. Schon ruckte der Kopf der Witwe in seine Richtung.
    „Wirst du dich benehmen, Bursche?“, fauchte sie und hob die Hand wie zur Ohrfeige. Dann wies sie hinter sich. „Sieh zu, dass du das Gepäck des jungen Herrn nach oben schaffst. Tummel dich!“
    Der Sohn des Schulkalfaktors schluckte, griff sich seine Last und kam dem ruppigen Befehl nach. Die Witwe sandte dem Jungen einen bösen Blick nach, während er die schmalen Stiegen hinaufächzte. Dann griff sie Lewis beim Rockärmel und schob auch ihn zum Eingang, von dessen Rahmen und Tür die Farbe abblätterte. „Na dann kommen Sie mal rein, es wird Ihnen hier schon gefallen.“ Sie musterte ihn erneut. „Ich hoffe doch, Sie sind reinlich?“, fragte sie argwöhnisch und kratzte sich an der Nase. Lewis sah sie an, und sie kratzte weiter.
    „Was, bitte, meint reinlich ?“, fragte er vorsichtig. Lewis erinnerte sich an das Tischgespräch im Hause der Böttigers und bemerkte einigermaßen ungehalten, wie hilflos er in dieser Sprache war, wenn es sich nicht um literarische Ausflüge handelte, sondern um das Alltägliche ging. Eine ungewöhnliche Konstellation, die gemeinhin genau gegenteilig auftrat. Vielleicht fehlte ihm auch der Wein.
    Die Witwe hörte nicht auf, sich an der Nase zu kratzen und schielte Lewis über die wackelnden Fingerknöchel hinweg an. „Ach, ein ganz feiner Herr, der sich nicht waschen tut und lieber Puder nimmt ...“
    „Oh, Sie meinen waschen !“, sagte Lewis eifrig. „Sicher tue ich das! Ich bin sehr ... reinlich !“
    Die Witwe senkte ihre Kratzhand, sah auf die Nägel und dann auf den Engländer. „Dass Sie nicht von hier sind, merkt man schon“, meinte sie mit Kennerblick.
    „Ja, nicht wahr“, pflichtete Lewis bei und verkniff sich jegliches Mienenspiel. „Mögen wir eintreten? Bitte, hinter Ihnen“, sagte er höflich und gestikulierte ebenso.
    „Aber manierlich!“ Die Witwe Recknagel fühlte sich geschmeichelt und deutete einen plumpen Knicks an. Dann rauschte sie mit ihren dicken Röcken an Lewis vorbei und flötete: „Bitte, mir zu folgen.“
    Der Engländer nahm seine Tasche und tat, wie ihm geheißen. Die Stiege war noch schmaler, als sie von unten aussah, und Lewis fürchtete eine Karambolage, falls die Witwe ausgleiten würde. Oben auf dem Treppenabsatz war es ein wenig stickig, und auch etwas Küchendunst war zu bemerken. Die Witwe stapfte über die knarzenden Dielen in einen Raum, dessen Lichtfülle nach der dämmrigen Gasse und dem düsteren Stiegenhaus nahezu blendete.
    „Das wär’s denn“, sagte die Witwe und richtete Lewis ’ Aufmerksamkeit mit einigen Gesten auf Sekretär, Waschtisch, Bett und Fenster. Beim Eintreten war der Sohn des Kalfaktors schnell von seiner Verschnaufgelegenheit aufgesprungen und stopfte das schweißnasse Sacktuch in die Tasche zurück.
    „Nun“, meinte Lewis, „das ist doch sehr erfreuend“, und er setzte seine Tasche ab.
    „Na fein, dass es Ihnen gefällt“, sagte die Witwe und ließ sich auf den Stuhl vor dem Sekretär fallen, wobei das Möbel ebenso ächzte wie sie. Während sie an ihrer Schürze zwirbelte, begann sie, Lewis mit den Gepflogenheiten in ihrem Haus bekannt zu machen. Sie setzte ihm auseinander, wie mit Abfall und Waschwasser zu verfahren sei, wann des Nachts Ruhe einzukehren habe und um welche Zeit gegessen wurde.
    „Ich werde im Hause des Herrn Direktor Böttiger zu Tisch gehen“, warf Lewis ein. Die Witwe hob erst das eine Kinn, dann das andere. „So, so“, sagte sie und kniff wieder die Augen zusammen. Lewis glaubte erneut, den Bluthund schnobern zu hören, doch möglicherweise litt die Witwe Recknagel nur unter einem sommerlichen Katarrh.
    „So, so“, wiederholte sie. Der Bursche, der neben Lewis’ Gepäck noch immer

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