Der Mönch in Weimar: Ein Schauerroman nach alter Mode (German Edition)
die gramgebeugt am Tisch saß, das Gesicht in die Hände gelegt, schluchzend und immer wieder Bögen von Papier um- und umwendete. Lewis schauderte, als ihm wieder in den Sinn kam, wie sie sich mit ihrem grauen, zerfurchten Gesicht ihm zuwandte und …
Es pochte energisch an der Tür. Von draußen hörte Lewis die Stimme der Witwe. „Aus den Federn! Das Morgenmahl steht auf dem Tisch!“
Kaum hatte Lewis sich von seinem Schrecken erholt, befürchtete er, die Witwe würde ebenso dreist seine Stube betreten, wie sie es am Abend zuvor getan hatte, doch als es draußen nur noch Schritte auf der Stiege zu hören gab, atmete er durch. Er gähnte, und sein Magen knurrte. Also kleidete er sich an und ging langsam die Treppe hinab.
In der folgenden halben Stunde fragte Lewis sich mehrfach, ob seine Entscheidung, bei der Witwe Logis zu nehmen, richtig gewesen war. Wissbegier und Redefluss der Recknagel suchten ihresgleichen. Lewis war froh, sich mit Hinweis auf seine mangelhaften Sprachkenntnisse dem Ärgsten entziehen zu können. Schließlich entfloh er treppauf, mit der Versicherung, dass nach fleißigem Studium wesentlich ergiebigere Gespräche möglich seien. Die Witwe Recknagel hörte dies gern und gab Lewis frei.
Den früheren Vormittag verbrachte der Neuankömmling damit, sich einzurichten. Er ordnete seine Kleidung und seine Lehrmaterialien, dann machte er sich gewissenhaft an seine Arbeit. Er übte Grammatik, lernte Vokabeln und übersetzte Textabschnitte, bis die Sonne am höchsten stand.
Zufrieden mit seinen Lernerfolgen verließ er das Haus, nicht ohne zuvor von der Witwe entdeckt worden zu sein, die ihm das Versprechen abrang, dem Herrn Gymnasialdirektor Böttiger einen Gruß zu übermitteln. Auf dem kurzen Weg in die Jakobstraße machte er sich den Spaß, einmal über den Treppenaufgang an der Front des Gymnasium s zu laufen, zur einen Seite hinauf und zur anderen Seite hinunter. Guter Laune und auch hungrig betrat er das Haus der Böttigers, wo ihm der kleine Karl fröhlich entgegenkrähte.
Schon kam ihm die Dame des Hauses entgegen, doch ehe Lewis mit Verschwörermiene auf ihrer beider Büchergeheimnis hätte anspielen können, trat Direktor Böttiger hinzu und hieß Lewis willkommen. „Haben Sie eine gute erste Nacht in Weimar hinter sich gebracht?“, fragte er und bat ins Speisezimmer.
„Danke, ja.“ Alles in allem war Lewis überzeugt, dass es sich bei dieser Äu ßerung um keine Lüge, auch nicht um eine Beugung der Wa hrheit handelte. Er nahm Platz.
Böttiger tat ihm von den Koteletts auf, auch von den Kohlsprossen, und nach einigen Bissen schien es allen, als sei seit dem gestrigen Tage kaum Zeit vergangen, als habe sich dieses Mahl direkt dem vom vorigen Mittag angeschlossen. Böttiger, seine Gemahlin und Lewis plauderten über Speisegewohnheiten in England, über Weimar und die Umgebung im Sommer und über die Lektionen des jungen Engländers. Der zeigte sich selbstzufrieden.
„Ich habe mein Gehirn, kann man das so sagen, so hart gegen das Deutsche geschlagen, wie ich nur kann. Im Morgen habe ich Lektionen genommen und kam gut voran.“ Er nahm etwas Brot und pflückte es auseinander. „Die drei Grundlagen von Vokabeln, Grammatik und Stil gehen mir recht gut ein.“ Böttiger und seine Gattin lobten ihn ohne Vorbehalt, wenn sie auch die zuweilen drollige Wortwahl des Engländers amüsierte. Lewis nutzte das Thema, um Eleonore Böttiger unauffällig für die Lektü re zu danken. „Ich habe auch neben den Lehrtexten schon einiges an Literatur zu mir genommen, zur Übung sogar einige Zeilen übersetzt. Sehr aufschlussreich, hilfreich und interessant.“ Wie beiläufig trank er Eleonore Böttiger zu.
Böttiger fegte einige Krumen zusammen. „Was haben Sie sich denn zur Lektüre erkoren?“, fragte er, völlig arglos in Blick und Tonfall.
Lewis schaltete schnell. „Es kam mir in den Sinn, Ihre Empfehlung zu beherzigen und nur das Gute mit Aufmerksamkeit zu bedenken. Ich nahm mir den Werther des geehrten Goethe vor.“ Seine Gesichtshaut rötete sich ein wenig, wie er an der aufkommenden Wärme spürte, doch hatte der genossene Wein längst sein Ü briges getan, und so fiel die zusätzliche Färbung kaum ins Auge. Frau Böttiger bedeckte ihr Lächeln mit dem Mun dtuch.
Böttiger lehnte sich zurück. „Gut. Das kann nur fruchtbringend sein.“ Er kratzte sich am Kinn. „Sagen Sie, wie wohnt es sich bei der Witwe Recknagel? Ich kenne sie nicht in Person, habe aber gehört, dass sie, nun,
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