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Der Mönch in Weimar: Ein Schauerroman nach alter Mode (German Edition)

Der Mönch in Weimar: Ein Schauerroman nach alter Mode (German Edition)

Titel: Der Mönch in Weimar: Ein Schauerroman nach alter Mode (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Röder
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nebeneinander auf dem Marktplatz.
    Lewis schnaufte. „Warum die Eile?“
    Herder zeigte auf einen breiten, gemauerten Bau mit hohem Turm, den zwei spitze Dächer flankierten. „Das Rathaus“, sagte er.
    Lewis prustete: „Glaubten Sie etwa, es würde vor uns davonlaufen?“ Er beäugte die ziegelgedeckten Dachspitzen, die wie Pyramiden emporragten und klatschte in die Hände. „Ich habe das nächste Wunder erkannt! Sicher ist mit caput, dem Haupt, der Kopfschmuck dieses Hauses gemeint! Zwei pharaonische Grabmäler mitten in Jena.“
    „Nicht ganz! Lauschen Sie“, meinte Herder, „und schauen Sie!“
    Am Turm des Rathauses ruckte der Uhrenzeiger auf die volle Stunde, dann begann eine Glocke zu schlagen. Hoch oben erkannte Lewis neben der Uhr zwei Engelsfiguren, von denen die linke sich plötzlich zu bewegen begann. Der Engel hob die Arme mit einem Buch und einem Glöckchen in Händen so oft, wie die Glocke schlug. Danach ließ sich eine zweite Glocke vernehmen, und der rechte Engel – der seiner Fittiche entledigt war, wie Lewis schien –, der einen Apfel in der Hand hielt, begann, diesen einem blechernen Menschenkopf darzubieten, der über dem Zifferblatt der Uhr angebracht war, und dieser schnappte danach! Erfolglos allerdings, wie Lewis erkannte.
    „Erstaunlich“, sagte er, als das Schauspiel geendet hatte, „und es war wirklich ein Kopf gemeint.“
    „Ich dachte, das würde Ihnen zusagen ...“ Herder lächelte. „Wie möglicherweise auch der Drache in der Universitätsbibliothek ...“
    „Ein Drache!“ Lewis überlegte. „Gewiss handelt es sich um eine Figur oder ähnliches ...“
    „Keinesfalls! Es geht die Mär, einige Studenten hätten ihn vor nahezu zweihundert Jahren in finsterer Nacht in den Teufelshöhlen, nahe am rechten Ufer der Saale, gefunden und überwältigt. Sieben gehörnte Häupter, vier Füße mit Krallen, zwei Pranken mit Klauen und drei Schwänze besitzt diese Bestie.“
    „Ich soll Ihnen glauben, dieses Monstrum hause nun in der Bibliothek der Universität?“
    Herder lachte. „Sie sind kaum zum Narren zu halten, Lewis! In der Tat handelte es sich um einen Ulk der Studenten, die das Tier kunstvoll aus Draht und Knochen zusammengesetzt hatten.“
    „Nur so konnte es sein. Denn Drachen und Bibliotheken gehen kaum gut zusammen. Aber natürlich kann ich mich irren.“
    „Sie werden es noch sehen ...“ Herder schaute zum Himmel, wo sich die Sonne langsam nach Westen neigte. „Aber nun sollten wir zum letzten Wunder aufbrechen, damit wir uns rechtzeitig mit Hardenberg treffen können.“
    „Ganz Ihrer Meinung! Wo soll es hingehen – es schien mir ein Haus auszustehen?“
    „Richtig, wir müssen zur Johannisstraße, da hat ein sehr seltsamer Mensch ein sehr seltsames Anwesen errichtet.“
    Sie gingen los, und erneut schlug Herder eine recht flotte Gangart an.
    „Der Mann hieß Weigel und war Mathematikprofessor. Mitte des vorigen Jahrhunderts etwa kam er hier nach Jena und wurde Hofmathematikus und Inspektor der herzoglichen Baudirektion. Das ist ihm offenbar derart zu Kopfe gestiegen, dass er sich daran machte, ein Haus zu bauen, damit,die Stadt geziert und andere zur Nachfolge angereizt‘ würden. Sie werden gleich erkennen, wenn dies so gekommen wäre, könnte Jena weit mehr Wunder aufweisen als sieben. Die Frage ist, ob das der Stadt zu wünschen wäre ...“
    Lewis blieb stehen. „Das möchte ich bezweifeln.“
    Sie standen vor einem riesigen Bau, der eine schier unglaubliche Anzahl von Stockwerken in die Höhe ragte. Über dem steinernen Parterre mit vier kolossalen Doppeltoren zählte Lewis sechs Fensterreihen, die mit acht durch Balken getrennten Öffnungen begannen und sich bis auf eine einzelne hoch unter dem Dachfirst verjüngten. Auf den Seiten des hohen Satteldaches lagerten je drei hintereinander aufsteigende Altane, die sich auf dem Scheitel zu einem quadratischen Türmchen vereinigten. Das untere Stockwerk war mit einem Fries reich verziert, und in dessen Mitte prangte eine geschwärzte Kupferkugel. Überall an der Fassade sah Lewis lateinische Inschriften, die sich auf Aufbau und Zusammenhang des Weltalls bezogen.
    „Oculus homini natura concessit“, las er und übersetzte dann das Zitat in seiner Gänze: „Augen hat die Natur dem Menschen gegeben, damit er zum Himmel aufschaue und die Bewegungen der Erde zähle.“
    „Dort“, sagte Herder, „der neunzehnte Psalm: Coeli enarrant gloriam Dei et opera manuum eius adnuntiat firmamentum. Die Himmel

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