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Der Mönch in Weimar: Ein Schauerroman nach alter Mode (German Edition)

Der Mönch in Weimar: Ein Schauerroman nach alter Mode (German Edition)

Titel: Der Mönch in Weimar: Ein Schauerroman nach alter Mode (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Röder
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dass eben der, der sich in einer Schlucht hinter Wenigenjena hinaufzog, auch der steilste war. Die Viertelstunde, die der Aufstieg gekostet hatte, hatte Lewis auch einiges an Schweiß abverlangt. Herder und Hardenberg hingegen waren frisch und munter wie zuvor unten in Jena. Lewis verachtete sie zurzeit beide, ganz im Gegensatz zu seiner sonstigen Auffassung. Er ließ sich auf einen Baumstamm sinken und starrte missmutig auf den Erdboden zwischen seinen Schuhen.
    Hardenberg begann plötzlich, die Aussicht und die Landschaft zu beschreiben – mit Worten, die, wie es Lewis schien, aus einem wilden Feuer geboren waren, das am Grunde von Hardenbergs Seele loderte. Er sprach mit herrlichem Ausdruck und tiefempfundenen Worten, und jegliche Beschreibung, jedes Bild kam so rasch aus ihm heraus, als besäße er die dreifache Fassungskraft und Empfänglichkeit wie ein normaler Mensch. Lewis wusste von sich, wie schnell er selbst reden konnte, wie er zu erzählen vermochte, besonders wenn vielleicht auch ein wenig Wein mit im Spiel war. Doch Hardenberg übertraf ihn noch um das Dreifache. Er war springlebendig und laut, seine Gebärden waren groß, und aus seinen Worten sprach solche Heiterkeit, als gäbe es gar nichts Böses in der Welt, und alles nähere sich wieder dem Goldenen Zeitalter. Seine Gefühle, befand Lewis, besaßen eine gewisse Keuschheit, die ihren Grund in der Seele hatte, nicht in Unerfahrenheit. Es schien ihm, als erlebe er hier den wahren Hardenberg, den, der sich bei Gelegenheit in die Schale des ruppigen Studenten kleiden konnte.
    Lewis fühlte sich mit einem Mal nicht mehr erschöpft, es war, als hätten Hardenbergs Worte ihn nicht allein geistig, sondern auch körperlich erfrischt. Das Unbehagen der vergangenen Tage war von ihm abgefallen. Er stand auf, trat zwischen Herder und Hardenberg und legte beiden die Hände auf die Schultern.
    „Freunde, ich bin außerordentlich erfreut, hier mit Ihnen beiden zu verweilen. Wenn ich wieder in meiner englischen Heimat bin – was, wie ich plane, noch ein gutes halbes Jahr in der Ferne liegt –, werde ich oft an diese Momente zurückdenken. An den Ausblick, an die Gesellschaft und an Herrn Hardenbergs wunderbare Worte ...“
    Herder und Hardenberg sahen Lewis an und nickten. Dann schauten sie zu dritt in die Ferne.
    „Aber“, sagte Lewis, „lassen Sie uns jetzt um Himmels Willen diesen Berg verlassen. Ich bin furchtbar durstig.“

    Auf dem Rückweg überquerten sie erneut die Camsdorfer Brücke, welche sich mit ihren neun steinernen Bögen über die Saale spannte, und kehrten in der Grünen Tanne ein. Einige Gläser später bat Hardenberg, ihn zu entschuldigen, da er zu dem angesprochenen Treffen mit Schiller wolle.
    Lewis überlegte. Es schien ein Leichtes, darum zu bitten, an dem Treffen teilnehmen zu dürfen. Schließlich kannte er Schiller schon, und der kannte ihn. Warum also nicht die Gelegenheit nutzen und mögliche verdächtige Personen in Schillers Umgebung beobachten? Dann aber entschied er sich dagegen. Es wäre allzu auffällig gewesen, w äre er mit einem Mal bei Schiller erschienen. Immerhin war dieser ihm im Garten Bertuchs nicht besonders freundlich gegenübergetreten, und bei Schiller als Anhängsel Hardenbergs aufzutauchen, war wohl keine gute Idee. Lewis beschloss, seinen Aufgaben als Spion in aller Stille nachzugehen. Wenn es galt, Näheres über Schillers Umgang herauszufinden, sollte dies geschehen, ohne dass der etwas davon ahnte.
    So wünschte Lewis Hardenberg einen angenehmen Besuch und konnte es gerade noch vermeiden, Schiller einen Gruß zu bestellen. Hardenberg regte an, dass sich alle drei am Abend im Gasthaus Schwarzer Bär gegenüber der Universität treffen sollten, und Herder und Lewis stimmten zu. Dann schlugen sie getrennte Wege ein. Während Hardenberg zur Jenergasse ging, um Schiller zu treffen, der dort im Haus des verstorbenen Superintendenten Schramm Logis hatte – Tür an Tür mit Studenten, die dort ebenfalls zur Miete wohnten –, lenkte Herder seine Schritte, mit Lewis nebendrein, zum Marktplatz. Sie gingen unter den vorragenden Obergeschossen der Fachwerkhäuser dahin.
    „Ihnen sind doch sicher“, begann Herder, „die sieben antiken Weltwunder bekannt, nicht?“
    Lewis war zunächst etwas verdutzt über diese Frage, dann bejahte er. „Ja. Wenn ich mich nicht irre, gehören dazu das Mausoleum in Halikarnassos, die Hängenden Gärten der Semiramis, der Leuchtturm auf der Insel Pharos vor Alexandria, die

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