Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Mönch in Weimar: Ein Schauerroman nach alter Mode (German Edition)

Der Mönch in Weimar: Ein Schauerroman nach alter Mode (German Edition)

Titel: Der Mönch in Weimar: Ein Schauerroman nach alter Mode (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Röder
Vom Netzwerk:
fröstelte ein wenig. Die Bäume ließen die schweren Tropfen über sich ergehen, während Lewis von einem Stamm zum anderen huschte, um durch das Blätterdach ein wenig Schutz zu erlangen. In den Büschen und Stauden ringsum raschelte es, als Wasser von Blatt zu Blatt perlte; von der Ilm hörte Lewis leises, stetiges Klatschen.
    Endlich hatte er den Baum erreicht. Mittlerweile klebten einige gelbliche Blätter an seinen Schuhen, die Strümpfe waren feucht, und er bedauerte nun doch, diese Stunde und diesen Tag gewählt zu haben. Er griff in seinen Rock, angelte den Brief heraus und schob ihn in die Öffnung, die in der zerfurchten Rinde des Stammes kaum zu erkennen war. Dann ging er rasch auf den Pfad zurück.
    Die Regenwolken hatten das ohnehin schwache Licht noch verdüstert, und der Schleier des herniederprasselnden Wassers tat ein Übriges, Lewis die Sicht zu erschweren. Mit um den Körper geschlungenen Armen lief er zurück über die Brücke, drehte sich trotz des Regens noch einmal um, als wolle er sich versichern, dass er mit seinen auf den Holzbohlen polternden Schritten keine Nixe im Schlummer gestört hatte – und erschrak.
    Im Dunkel der Bäume jenseits der Brücke stand eine Gestalt, schemenhaft und kaum von den Stämmen zu unterscheiden. Lewis war wie erstarrt. Jetzt löste sich der Schatten ein wenig aus dem Hintergrund, und Lewis konnte deutlich den nass schimmernden Hut und den umgehängten Mantel erkennen. Als die Gestalt mit einem Mal langsam den Arm hob, rannte Lewis in die feuchte Dämmerung, lief und lief, bis er den Park verlassen und sicher zu Hause angelangt war.
    Doch als er wieder einen klaren Gedanken fassen konnte, musste er sich eingestehen, dass er nicht wusste, ob es sich bei der Geste der Gestalt um eine Drohung oder um einen Gruß gehandelt hatte. Sicher war er sich nur, dass er auf keinen Fall einer Ilmnixe begegnet war. Ob ihm dies freilich lieber gewesen wäre, wollte er sich nicht beantworten.

    Irgendwann Anfang Oktober begann Lewis, Goethe zu vermissen, ohne es sich selbst eingestehen zu wollen. So wie ihm einige Personen bei Hofe mitgeteilt hatten, es fehle den Zusammenkünften an Glanz, jetzt, wo der Herzog außer Landes sei, so schien es Lewis, als habe Weimar mit dem Geheimrat einen Lebensfunken eingebüßt. Sicher waren all die Theaterbesuche und höfischen Zusammenkünfte sehr amüsant, aber doch, so schien es ihm, kein Vergleich zu den Dingen, die er mit Goethe erlebt hatte. Lewis schalt sich im selben Augenblick solcher Gedanken, denn schließlich hatte im Bergwerk sein Leben auf dem Spiel gestanden, aber nichtsdestoweniger ...
    Dies schien ihm die rechte Stimmung, sich an die Übertragung von Goethes Erlkönig zu machen. Er las das Gedicht einige Male, um Stimmung und Klang zu erfassen, und dann setzte er sich nieder und warf die ersten Verse aufs Papier.
    Draußen schlug in einiger Entfernung ein Fensterladen im aufkommenden Wind. Lewis stand auf, trat ans Fenster und blickte hinaus. Es war noch heller Nachmittag draußen, ein wenig trübe, aber angenehm, wie es ihm schien. Einige Blätter von den Bäumen des Kirchhofs wehten in die Jakobstraße. Lewis blickte zurück auf die Blätter, die seinen Sekretär übersäten. Er lächelte, als ein Gedanke in ihm hochstieg: Was, wenn er den Erlkönig Goethe zu Ehren nicht allein von Papier zu Papier übertrug, in der dumpfen Kammer sitzend, trocken und warm? Was, wenn er hinausging, um die wahre Essenz des Werkes zu erfahren und damit eine tiefempfundene Nachdichtung in englischer Sprache zu verfassen?
    Lewis sprang vom Fenster weg, ergriff Mantel und Hut und war im nächsten Moment durch die Tür. Mit leuchtenden Augen steckte er den Kopf ins Zimmer Karl Böttigers und unterrichtete ihn in knappen Worten von seinem Vorhaben. Böttiger war erstaunt und wusste kaum etwas zu entgegnen, als Lewis auch schon grüßte und verschwand. Auf der Straße atmete er tief die kühle Luft ein und ging raschen Schrittes quer durch die Stadt zu dem Mietstall, in dem – auf Anweisung Voigts – ein Pferd für ihn bereitstand, welches er in Anspruch nehmen konnte, wann immer er es für nötig hielt. Ein bärtiger Knecht sattelte ihm den Falben und brummte etwas von aufziehendem Nebel.
    „Genau den suche ich!“, rief Lewis und schwang sich in den Sattel. Das Tier ließ sich ruhig führen, und Lewis trabte langsam nach Süden zur Stadt hinaus. Sowohl Weg als auch Pferd waren ihm vertraut: Ein paar Wochen zuvor war er mit einer

Weitere Kostenlose Bücher