Der Mönch in Weimar: Ein Schauerroman nach alter Mode (German Edition)
englische Heimat ausreichend Gesprächsstoff.
Im Anschluss hielt Lewis die Zeit für gekommen, Wieland seine Gabe zu überreichen. Der fühlte sich ausnehmend geehrt, und nachdem Lewis seine Übertragung in der Runde zu Gehör gebracht hatte, erntete er großes Lob, vor allem von Wieland selbst und den Gores.
Von diesem Erfolg angespornt, machte sich Lewis daran, Goethes Erlkönig und noch einige andere Gedichte ins Englische zu übersetzen. Nach den eindrucksvollen Abenden im Festsaal des Wittumspalais mit seiner hohen, von Schmuckbändern gesäumten Decke und den Wänden aus rosenfarbenem Marmor, in deren Verlauf das Parkett abwechselnd von den Beinen der Festtafeln und den Beinen der Tanzenden belastet wurde, genoss Lewis die Stille seines Zimmers. Sein Verhältnis zu Eleonore war freundschaftlicher denn je und von keinerlei Unannehmlichkeiten gestört, und Böttiger selbst wusste so manches Neue von sich zu geben und auch einzufordern.
Eines Abends schrieb Lewis erneut einen Brief an seine Mutter:
Nichts und niemand kann höflicher sein als die Leute, die zum Hof gehören. Die beiden He rzoginnen sind äußerst freundlich und entgegenkommend. Wir haben nichts als Bälle, Soupers und Konzerte. Ich langweile mich zu Tode, doch ist es stets ein Trost, daran zu denken, dass ich dies in bester Gesellschaft tue.
Einige Dinge sind allerdings nicht ganz so elegant und wohlgeordnet wie in England: Messer und Gabeln werden sogar an des Herzogs Tafel nicht gewechselt. Die Damen räuspern sich und spucken in den Räumen in einer Weise, die sehr anstößig ist, doch da, wie gesagt, die Herzoginnen sehr freundlich sind und überhaupt jedermann so außergewöhnlich gefällig ist, amüsiere ich mich alles in allem recht wohl.
Da klopfte es, und der Laut des Erschreckens, der aus Lewis’ Munde kam, wurde offenkundig als Aufforderung zum Eintreten verstanden.
Eleonore kam herein. „Guten Abend, Herr Lewis“, sagte sie heiter.
„Guten Abend“, entgegnete er und wollte hastig ein Blatt Papier über den Brief legen, als ihm bewusst wurde, dass die Tinte noch nicht getrocknet war und verschmieren würde.
„Sie verfassen etwas Geheimes?“, mutmaßte Eleonore und lächelte.
„Nein“, widersprach Lewis, der ahnte, dass Eleonore nach neuerlichen Schauermären dürstete. „Ich schreibe nur einen Brief, an meine Mutter ...“ Lewis biss sich auf die Zunge.
Eleonore hob die Hand vor den Mund. „Aber Ihre Frau Mutter ist doch ...“
Lewis seufzte. „Kommen Sie doch ganz herein, Frau Böttiger, und setzen Sie sich. Wir haben schon das eine oder andere Geheimnis geteilt, und Sie waren stets so gut zu mir, da scheint es mir nur gerecht, Sie auch in dieses einzuweihen.“
Eleonore nahm Platz und legte die Hände ineinander.
Lewis atmete tief durch. „Ich gestehe Ihnen, ich verleugne meine Mutter. Nicht, weil ich sie hasse, nein, im Gegenteil, ich liebe sie. Ich hasse meinen Vater, der sie betrog und verließ, und diese Scham lastet so auf mir, dass ich sie gegenüber anderen für tot erkläre, um nicht über die wahren Verhältnisse sprechen zu müssen.“ Er räusperte sich. „Nun ist es heraus. Ich fühle mich zumindest Ihnen gegenüber besser.“ Er lächelte schwach und wusste nicht, ob er sich wirklich erleichtert fühlte.
Eleonore sah ihn mit großen Augen an. „Das ... tut mir leid.“
„Danke. Aber nun lassen Sie uns nicht weiter davon reden, und schweigen Sie auch bitte anderen gegenüber. Ich schätze Ihren Mann sehr, und ich muss sagen, dass meine Abneigung gegen die Ehe – aus Gründen, die ich eben angerissen habe, aber nicht näher vertiefen will – sich durch Ihrer beider Ansehen um ein Winziges abgeschwächt hat, aber dennoch: Sagen Sie ihm bitte nichts, denn ich befürchte ...“
Eleonore sah zu Boden und legte die Hand an den Mund. „Ich weiß, mein Ehemann ist ein Schwatzmaul ...“ Zwischen ihren Fingern hindurch konnte Lewis erkennen, wie sie lächelte – und wie unangenehm ihr dies war.
„Allerdings“, sagte er, um sie von ihrer Qual zu erlösen. „Ein großes!“
Eleonore hob den Blick, sah, wie Lewis auch lächelte, und nahm die Hand vom Mund. „Ein sehr großes!“, lachte sie.
„Ein außerordentliches Schwatzmaul!“, lachte auch Lewis. Dann sagte er immer noch lachend: „Nun gehen Sie doch zu ihm und richten ihm einen schönen Gruß von mir aus!“
Eleonore stand auf. „Das werde ich. Gute Nacht!“ Sie lächelte noch einmal und schloss dann die Tür von außen.
Lewis
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