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Der Mönch in Weimar: Ein Schauerroman nach alter Mode (German Edition)

Der Mönch in Weimar: Ein Schauerroman nach alter Mode (German Edition)

Titel: Der Mönch in Weimar: Ein Schauerroman nach alter Mode (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Röder
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gedankt, während ich mit einigen Kindern gesegnet bin, wenn sie auch schon lang aus dem Haus sind ...“
    Lewis nickte bedächtig und ermunterte die Witwe, doch bitte weiter zu berichten.
    „Dieser Sohn also verliebte sich in ein schönes, aber bettelarmes Mädchen und wollte es heiraten, was der geizigen Mutter nicht recht war. So gab sie ihren Sohn an einen Kaufmann, der zur See fuhr, und sandte ihn aufs raue Meer hinaus. Die Jahre vergingen, und die Mutter bekam keine Nachricht, weder von ihm noch von dem Schiff, mit dem er in See gestochen war. Man nahm an, es sei gesunken und alle an Bord mit ihm. Das Mädchen, das auf ihn hatte warten wollen, klagte die Mutter an. Dies und das zehrende schlechte Gewissen zerrütteten zusammen mit dem Schmerz über den Verlust ihres Kindes den Geist der Frau. Ihr einziger Lebenszweck war fortan, die Gazetten nach Meldungen zu durchsuchen, die ihr Aufschluss über das Schicksal ihres Sohnes geben könnten. Mit der Zeit verließ sie alle Hoffnung, und sie starb bald. Doch nach ihrem Tod verfolgte sie ihre alten Gewohnheiten weiter ... und erscheint in der Nacht, oben in jenem Zimmer, die Zeitungen nach einem Zeichen durchsuchend ...“
    „Genug!“, rief Lewis so heftig, dass die Witwe und auch er selbst erschraken. „Das ist entsetzlich ...“
    Die Witwe seufzte. „Ja. Der Schmerz einer Mutter über den Verlust ihres Sohnes ...“
    Lewis verkrampfte sich.
    Die Witwe legte die Hand an die Wange. „Aber sicher können Sie nachempfinden, was für ein Unglück es ist, den Sohn zu verlieren. Denken Sie nur, was Ihre Frau Mutter …“
    „Meine Mutter lebt nicht mehr“, sagte Lewis hastig und presste die Lippen aufeinander.
    Die Witwe sah ihn milde an. „Das tut mir leid. Wann …“
    „Ich möchte nach oben gehen“, sagte Lewis eilig. Als die Witwe Recknagel überrascht den Mund öffnete, fügte er hinzu: „Ich denke, am besten vertreiben sich Geister durch fleißiges Arbeiten und dadurch, dass man seinen eigenen Geist dagegensetzt.“ Er stand auf, nickte höflich und verließ eilig den Raum. Die Witwe blickte ihm nach und dann in ihre Tasse, auf deren Grund der Kaffeesatz seltsame Muster gebildet hatte.

    Lewis setzte sich ans Schreibpult und barg den Kopf in den Händen. Beklommenheit drückte auf seine Brust. Er fegte die Bücher, Hefte und Zettel beiseite und griff nach dem Briefpapier. Mit zitternder Hand tauchte er die Feder ins Tintenfass und presste die Spitze auf das Weiß, zog die ersten fahrigen Linien in tiefem Trauerschwarz:
    Dearest Mother ...
    Eine Stunde später versiegelte und adressierte er den Brief, ging hinunter zur Witwe und erfragte bei ihr, wo er ein Schreiben nach England aufgeben könne. Er verließ das Haus und die Witwe, die sich Sorgen um das Wohl ihres Mieters machte, da er fahrig und bleich wirkte. Ein Gang durch die frische Luft des Vormittages würde ihm guttun, so dachte sie sich und ging wieder ihren eigenen Geschäften nach.
    Lewis ging unstet durch die Gassen und Straßen Weimars, das ihm trotz des lichten Tages düster und verhangen schien. Kindern, die laut rufend umhertollten, und Frauen, die beisammen standen und tratschten, begegnete er mit Unverständnis. An einem Brunnen nahe der Geleitstraße wusch er sich das von kaltem Schweiß überlaufene Antlitz und rastete kurz. Langsam klärte sich sein Geist wieder, und er fasste nach einigem Abwägen, das ihm zunächst schwer, dann immer leichter fiel, einen Entschluss. Er strich sich das wirre Haar aus der Stirn und ging festen Schrittes zurück in die Rosmariengasse.

    Zur Mittagszeit begrüßte man ihn, als sei es schon liebe Gewohnheit, die vor sehr langer Zeit ihren Anfang genommen hatte, im Haus der Böttigers. Nach dem Essen brachte er wie beiläufig das Gespräch auf die Erlebnisse im Haus der Witwe Recknagel.
    „O nein! Wie schauerlich!“, rief Eleonore Böttiger mit Entsetzen, und Lewis vermochte in dieser Bemerkung mittlerweile besser zu lesen als ihr Ehemann, jetzt, da sie über eine literarische Verschwörung miteinander verbunden waren.
    Böttiger hingegen war skeptisch. „Master Lewis, sind Sie sich dessen sicher? Hat die Witwe sich nicht vielleicht, nun, ein wenig interessant machen wollen, dem jungen Gast gegenüber?“
    „Aber ich sah, was ich gesehen habe“, sagte Lewis mit Nachdruck.
    „Sicher, sicher, sofern es kein Traum war ...“ Böttiger tippte mit den Fingern auf die Tisc hplatte.
    Lewis ließ sich nicht beirren. „Doch wie kann ich von etwas träumen,

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