Der Mönch in Weimar: Ein Schauerroman nach alter Mode (German Edition)
ältlichen Frau über die Tischplatte, die mit vielerlei Papieren bedeckt war. Eine gichtige Hand tastete mit dürren Fingern nach den Zeitungen und Journalen, wendete hier eine, dort zwei Seiten um. Es knisterte und raschelte, doch der sonst vertraute Klang des Papiers klang hohl, als würden die Wände einer Grabkammer das Geräusch zurückwerfen.
Lewis hob die Hände vors Gesicht, doch ehe sie ihm den Blick auf dieses Grausen gnädig verwehrten, wandte die spukhafte Frau ihm das gramgefurchte Gesicht zu, schaute ihn mit trüben Augen durchdringend an. Lewis wollte das Herz in der Brust stehenbleiben, dann schlug es ihm bis hinauf zur Kehle. Kurz schienen die Augen der Frau aufzuleuchten, wie die einer Katze, die bei Nacht vom Lichtstrahl einer Blendlaterne überrascht wird, dann schimmerte die Iris wieder blind und weiß und so tot wie zuvor.
Lewis sah noch, wie sich der grausige Kopf mit dem zerrauften Haar wieder dem Tisch zuwandte, dann verlosch das Bild. Doch er konnte am nächsten Morgen nicht sagen, ob das Phantom verschwunden oder ob es die Ohnmacht gewesen war, die sich seiner bemächtigt und ihn in gnädigem Dunkel hatte versinken lassen.
Kaum ertönte das Klopfen der Witwe an seiner Tür, war Lewis hellwach. Noch bevor sie ihren Satz zu Ende bringen konnte, sprang er aus dem Bett, setzte zur Tür und riss sie auf, ungeachtet der Tatsache, dass er sich im Hemd befand.
Die Witwe Recknagel erschrak kurz, dann gewann ihre übliche Natur Oberhand, und sie musterte den jungen Mann von oben bis unten. Entrüstet, wie es schien. Doch als die erste Silbe eines Wortes über ihre Lippen kommen wollte, kam Lewis ihr zuvor: „Ist dieses Haus bespukt?“, rief er, und seine Stimme zitterte dabei.
Schlagartig wich alle Farbe aus dem Antlitz der Witwe, und sie ließ den Mund halboffen stehen, verschluckte ihre Worte.
„Ist es?“, drängte Lewis. Die Witwe tastete nach der Türfüllung, um Halt zu finden. „Sie haben ... etwas gesehen?“, fragte sie zögerlich und versuchte vergeblich, den Anschein zu erwecken, sie wisse nicht, wovon Lewis sprach.
„In der Tat! Etwas mit glühenden Augen, in geisterhaftem Glanz. Es war schrecklich!“ Auch Lewis musste nach dem Türrahmen greifen.
Die Witwe vermied es, in Richtung des jungen Engländers zu schauen, als fürchte sie, einen Blick ins Innere des Zimmers zu erhaschen, obwohl dort nur fröhlich einige Staubkörnchen im hellen Morgenlicht tanzten. Sie senkte den Blick. „Es ist also wieder da“, flüsterte sie in einem düsteren Ton, der Lewis mehr Schauer über den Rücken fahren ließ, als es die nächtliche Erscheinung vermocht hatte. Er wich einen Schritt zurück. Die Witwe Recknagel wandte ihm halb den Kopf zu. „Kleiden Sie sich an und kommen Sie in die Küche. Ich bereite derweil eine Nervenstärkung.“ Langsam ging sie die Stiegen hinab, und Lewis fragte sich, wie er diese Frau je mit einem Bluthund hatte vergleichen können. Rasch warf er die Kleider über, um nicht länger als nötig in diesem verfluchten Raum zu bleiben.
Unten in der kleinen Küche, deren winziges Fenster auf den Gemüsegarten hinausging, empfing ihn der Duft von Kaffee, den die Witwe in zierliche Tassen aus besseren Tagen goss. Lewis nahm ihn dankbar an. Die Süße des Getränks und dessen Hitze vertrieben die bitteren und grabeskalten Empfindungen aus der Nacht. Auch die Witwe gewann wieder etwas von ihrer früheren Gesichtsfarbe zurück. Sie hielt die Tasse mit ihren feisten Fingern umklammert, dass Lewis um das Porzellan bangte, doch schon brachte die noch etwas brüchige Stimme der Witwe ihn auf den rechten Pfad der Aufmerksamkeit zurück.
„Ich hatte gehofft, dass die Ereignisse zu einem Ende gekommen wären“, begann die Witwe Recknagel. „Einige Jahre war es still, nein, viele Jahre, um genau zu sein. Als ich mit meinem Mann, Gott hab ihn selig, dieses Haus bezog, hatten wir davon gehört und dann und wann auch einen schrecklichen Blick erhaschen können. Doch mit der Zeit verschwand die Erscheinung, und wir konnten glücklich und traut leben ...“
„Aber um was handelt es sich?“, fragte Lewis ungeduldig, der es nicht gewöhnt war, so früh am Morgen Kaffee zu sich zu nehmen.
Die Witwe sah ihn fest an. Dann setzte sie die Tasse ab und legte die Hände fest auf die Tischplatte, damit sie nicht zitterten. „Vormals war dieses Haus im Besitz einer Witwe ... so wie jetzt auch“, fügte sie dumpf hinzu. „Doch diese hatte nur einen einzigen Sohn, dem Herrn sei’s
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