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Der Mönch in Weimar: Ein Schauerroman nach alter Mode (German Edition)

Der Mönch in Weimar: Ein Schauerroman nach alter Mode (German Edition)

Titel: Der Mönch in Weimar: Ein Schauerroman nach alter Mode (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Röder
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vielleicht etwas sehr mütterlich zu sein scheint.“
    Lewis bewahrte seinen gelösten Gesichtsausdruck, verkrampfte sich aber innerlich. Das traf nicht die Wahrheit, beileibe nicht. Dann lächelte er mühsam, gab seiner Stimme einen frohgemuten Anstrich. „Wenn Sie es so nennen mögen? Sie ist recht streng, einigermaßen fürsorglich und sehr, sehr wissbegierig. Beim Frühmahl kam ich kaum dazu, etwas zu mir zu nehmen, da ich in einem fort zu berichten hatte ...“
    Böttiger lachte. „Das kann ich mir vorstellen. Ebenso, dass das Erfahrene sehr rasch seine Runde bei den Marktweibern machen wird. Die Witwe Recknagel soll nicht nur neugierig, sondern auch redselig sein.“ Dann senkte er kaum merklich den Blick. „Schade, dass nicht auch die bessere Gesellschaft von Ihnen erfahren wird ...“
    Eleonore funkelte ihn aus den Augenwinkeln an, so dass er beschwichtigend die Hände hob. „Doch es ist natürlich Ihre freie Entscheidung ...“
    „Haben Sie ein wenig Nachsicht mit mir als Schüler, Herr Gymnasialdirektor. Erst die Arbeit, dann das Vergnügen.“
    Eleonore Böttiger lachte leise, und Lewis sah, dass er ohne Vorsatz Worte und Tonfall Böttigers perfekt nachgeahmt hatte. Böttiger ergab sich seinem Schicksal und erlaubte sich auch ein Lächeln. Trotz der angeregten Unterhaltung spürte Lewis Müdigkeit in sich aufsteigen, was er auf die eben genommene Mahlzeit zurückführte.
    Eleonore Böttiger bemerkte es. „Sie sehen erschöpft aus. Haben Sie sich gleich am ersten Tag übernommen, oder war Ihre erste Nacht doch nicht so erquickend?“
    „Nun, ich muss zugeben, die neue Umgebung hat mich etwas beeinflusst. Ich träumte ein wenig wirr und schlief unruhig, trotz der anstrengenden Reise ...“
    „... oder wegen der Aufregungen, die Sie gestern so treffend geschildert haben“, meinte Böttiger. „Dazu die weiteren Gespräche über gewisse Themen ...“ Er schielte ein wenig zu seiner Frau hinüber, die vorgab, einen Sprung im Geschirr entdeckt zu haben, und halblaut etwas von der plumpen Spülmagd vernehmen ließ. Böttiger nutzte dies, um den Tisch aufzuheben und den Gast in sein Arbeitszimmer zu bitten. Lewis fing beim Hinausgehen ein feines Lächeln Eleonore Böttigers auf.
    Im Arbeitszimmer wiederholte sich das Rauchritual des vorigen Tages. Böttiger wollte es sich offenkundig nicht nehmen lassen, persönlich an den sprachlichen Erfolgen des Engländers teilzuhaben, und so plauderte er mit ihm, dann und wann leicht verbessernd und aufmunternd. Schließlich durfte Lewis sich verabschieden und wieder seinem eigenen Tagesprogramm nachgehen.
    Er nahm einen anderen Weg zu seinem Zimmer, der ihn über den Graben und die Kleine Teichgasse zurück in die Rosmariengasse führte. Auf diesem kurzen Spaziergang betrachtete er die Häuserfronten mit ihren Sprossenfenstern, den vereinzelten Blumenkästen und den Rankengewächsen, die hier und da von Wurzelstöcken nahe dem Fundament an den Fassaden emporkrochen. Lewis versuchte, Häuser und Menschen nicht allzu offensichtlich mit den Augen des fremden Reisenden zu betrachten. Vielmehr strebte er an, die innere Essenz dieser anderen Stadt, dieser anderen Welt in der Mitte des europäischen Kontinents zu erfassen. Er versuchte zu ergründen, was deutsche Dichter zu eben den Worten veranlasst haben mochte, die sie niedergeschrieben hatten. Nur so, dessen war Lewis gewiss, konnte es ihm gelingen, die Werke, die er ins Englische zu übersetzen gedachte, wahrhaftig zu übertragen. Doch zuvor hatte er sich noch mehr an sprachlichem Rüstzeug zuzulegen.
    Er ging guten Mutes ins Haus der Witwe Recknagel zurück und arbeitete fleißig und ungestört bis zum Sonnenuntergang.

    In der Nacht schrak er entsetzt auf. Wieder hatte er im leichten Schlaf jenes Rascheln vernommen, das ihm schon zuvor aufgefallen war. Dieses Mal lag seine Lektüre jedoch sorgsam zugeschlagen auf dem Nachtkasten, soviel konnte er im Mondlicht erkennen, das auffallend hell ins Zimmer schien und zudem eine eigentümliche Färbung aufwies. Wäre ein Spiegel in Lewis’ Blickweite gewesen, so hätte er sein Antlitz in leichenhaftem Grün schimmern sehen können – und sein eigenes Erbleichen, als er den Kopf dorthin wandte, von wo der geisterhafte Glanz herrührte.
    Lewis stockte der Atem.
    Am Tisch saß die Gestalt aus seinem vornächtigen Traum. Ganz in durchscheinendes Grau verschiedenster Schattierungen gehüllt, von innen her jenes ungesunde Grün ausstrahlend, beugte sich der Schemen einer

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