Der Mönch in Weimar: Ein Schauerroman nach alter Mode (German Edition)
erkannte an der Schrift, dass er von Herder stammte. Erfreut öffnete er ihn und überflog schnell die ersten Zeilen.
Dann gefror seine Miene. Schon die Anrede am Kopf des Schreibens war ihm seltsam vorgekommen, und nun erkannte er, dass der Brief in einer ihm fremden Schrift verfasst war. Auch die Unterschrift war ihm von Schwung und Federführung nicht bekannt. Der Name indes umso mehr.
Schnell las er den Brief noch einmal, und dieses Mal zitterten seine Hände. Kalter Schweiß brach ihm aus, und er spürte, wie seine Glieder taub wurden. Entsetzt sank er auf seinen Stuhl. Welch Unglück und Teufelei!
Lewis fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. Was tun?
In seiner Notlage sah er nur einen Ausweg. Er sprang auf, griff den Brief, den er hart an die Brust presste, und dann stürmte er die Treppe hinab. Unten riss er die Tür auf und machte zwei Schritte auf die Straße hinaus, deren Düsternis von der dünnen Lage Schnee auf dem Pflaster erhellt wurde. Flocken tanzten im Wind.
„Heda!“, rief er die Soldaten an, die in der Nähe standen.
Sie kamen heran, um zu erfahren, was in ihren Schutzbefohlenen gefahren sei. Im Licht, das aus dem Haus fiel, sah Lewis, dass er einen der beiden kannte – er war schon ein paar Mal zum Wacheschieben eingeteilt gewesen.
„Guten Abend“, grüßte er gesittet, um den finsteren Gesichtern keinen Anlass zu geben, noch grimmiger dreinzuschauen. „Ich muss einen von Ihnen bitten, sich umgehend zu Herrn Krafft zu begeben und diesen herzuschicken.“
Die beiden Soldaten sahen einander an und blickten dann wieder ungerührt auf Lewis.
„Es eilt, es ist wichtig und dringend!“, rief Lewis. „Bitte!“
Der eine Soldat zwirbelte seinen Oberlippenbart. „So wichtig wie Sie selbst?“
Lewis sah ihn groß an. Was dachten sie nur über ihn? Aber dann wurde ihm klar, dass es wohl Klatsch unter den Wachposten gegeben haben musste, was seine Person und den Schutzauftrag anging. Da Lewis aber keine Zeit für lange Erläuterungen zu haben glaubte, schien es ihm am erfolgreichsten, wenn er auf seinen scheinbar offenkundigen Status pochte und dazu ein wenig log.
„Ich habe hier“, begann er mit fester Stimme, und dabei hob er kurz das Schreiben, „eine höchst vertrauliche Depesche von Herrn von Goethe. Es geht um ein niederträchtiges Komplott gegen den Herzog von Sachsen-Weimar und Eisenach, das es zu verhindern gilt! Sie haben den Boten gesehen, der das Schreiben brachte. Sicher ist Ihnen dessen Eile aufgefallen, da Sie so hervorragende Wachposten sind. Also seien Sie ebenso eilig und nicht minder ausgezeichnet als Boten und schaffen Sie Herrn Krafft her! Es geht um Leben oder Tod!“
Obwohl er innerlich aufgewühlt war, konnte Lewis seine Freude nicht verhehlen. Er hatte den Ton des Majors von Germar gut getroffen, und tatsächlich nahmen die Soldaten Haltung an, der eine erbleichte sogar.
„Ich mache mich gleich auf den Weg“, sagte der mit dem Schnurrbart und nickte zackig.
Lewis erwiderte die Bewegung. „Ich werde Sie lobend erwähnen!“, fügte er hinzu. Dann machte er auf dem Absatz kehrt und eilte ins Haus zurück, ehe die Soldaten erkennen konnten, wie sehr er am ganzen Körper bebte.
„Löber?“, rief Krafft, nachdem er die letzte Zeile des Schreibens gelesen hatte und ließ es sinken.
Lewis saß auf dem Bett und nickte. Es beruhigte ihn, dass Kraffts Wut über die Finte, mit der Lewis ihn ins Haus der Böttigers gelockt hatte, verraucht zu sein schien. Er hatte eingesehen, dass Lewis den Soldaten unmöglich die wahren Beweggründe hätte erklären können.
Jetzt blickte Krafft wieder auf den Brief. „Er hat den jungen Herder.“
„Ja, und er fordert mich auf, nach Jena zu kommen. Sonst wird er ihn töten.“ Lewis legte die Hände an die Wangen und sah zu Boden.
Krafft packte die Lehne des Stuhles, hinter dem er stand. „Ihnen ist klar, dass dies eine Falle ist.“
„Sicher!“, rief Lewis mit erstickter Stimme. „Aber was soll ich tun?“
Krafft blickte erneut auf den Brief. „Er will, dass Sie sich am Südflügel des Kollegiums einfinden. Am Anatomischen Theater, um Mitternacht.“ Krafft grunzte. „Natürlich um Mitternacht.“
„Dann wird gewiss niemand mehr in den akademischen Gebäuden sein, und er ist ungestört bei seinen ... Plänen.“ Lewis schluckte und fuhr sich über die wächsern schimmernde Stirn.
Krafft redete beruhigend auf ihn ein. „Sie glauben doch nicht, was Löber da schreibt! Er will Sie nur quälen!“
„Nein, nicht
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