Der Mönch in Weimar: Ein Schauerroman nach alter Mode (German Edition)
beendete er sein Bekleidungsmanöver. Nichts rührte sich draußen. Dann klopfte es erneut.
„Bitte“, sagte er laut und deutlich. Doch statt einer Bewegung an der Klinke klopfte es erneut. Lewis schlüpfte in die Stiefel und ging zur Tür. Ein Klopfen, dann ein Scharren.
Lewis drückte die Klinke, zog daran und sah durch den breiter werdenden Spalt. Der Flur war schwach erleuchtet. Da war niemand. Da klopfte es noch einmal, und Lewis’ Herz tat einen Satz. Nicht auch noch hier!
Zu seinen Füßen bewegte sich etwas. Lewis zuckte, sein Kopf ruckte nach unten, und dort sah er die kleine Gestalt Karlchens, der am Boden kauerte und mit den Fäustchen gegen die Tür pochte. Er grinste zu Lewis hinauf. Der verdrehte die Augen zum Türsturz hin und atmete kurz ein. „Nun, junger Herr Böttiger, was machst du hier?“, fragte er in gespielt förmlichem Ton.
Karl Böttiger gluckste.
„So, so“, antwortete Lewis und bemerkte mit Widerwillen, dass er den Ton der Witwe Recknagel nachgeahmt hatte. „Sehr löblich, diese Absicht.“ Lewis ging ein wenig in die Hocke. „Was gedenkst du nun zu tun?“
Karlchen öffnete den Mund und brabbelte.
„Höchst bemerkenswert“, sagte Lewis und legte den Finger ans Kinn. „Da du heute Morgen so gesprächig bist, kannst du mir vielleicht auch verraten, was deine werte Frau Mama im Schilde führt? Hat sie mit dir nicht genug zu tun?“
Karl Böttiger stopfte die linke Faust in den Mund und produzierte Speichel.
„Oder hat sie so viel Mutter...“, Lewis zögerte, „...gefühl, dass es für zwei reicht?“
Der kleine Karl zuckte mit den runden Schultern, als habe er die Frage tatsächlich verstanden, wisse aber keine Antwort darauf.
Lewis nickte. „Gut. Du musst wohl noch etwas älter werden, um das zu beantworten, und ich muss etwas älter werden, um es zu begreifen.“
„Wofür müssen Sie älter werden, junger Master Lewis?“, fragte Eleonore Böttiger, die an der Treppe erschienen war.
Lewis zuckte zusammen, stand ruckartig auf und grüßte. „Guten Morgen.“ Er blickte kurz zu Karlchen hinab und suchte nach einer Erklärung. „Nun, ich denke, um ... wie sagt man?“ Lewis wusste keinen besseren Rat, als sich in die Ausrede des Vokabelmangels zu flüchten. Er machte einige ungewisse Gesten.
Eleonore Böttiger glaubte ihm, oder sie ließ sich nicht anmerken, Lewis’ Unsicherheit bemerkt zu haben. „Ein Gespräch unter Herren also. Ich bedaure, es unterbrechen zu müssen, aber Karl ist vor einer absoluten Notwendigkeit geflohen, die sich nicht aufschieben lässt. Karl, komm her.“
Der kleine Böttiger zog sich an Lewis’ Hosenbeinen empor und tapste seiner Mutter entgegen, die ihn aufnahm.
„Sie können frühstücken, wenn Sie möchten. Gehen Sie einfach in die Küche. Unsere Köchin, die Gine, wird Sie mit allem versorgen“, sagte sie und ging mit einem Lächeln die Stiege hinab. Als sie sich abwandte, glaubte Lewis zu sehen, wie das Lächeln erstarrte und einem schmalen, bitteren Mund wich. Es mochte aber auch ein Schatten gewesen sein.
Später saß Lewis am Schreibtisch und lernte. Je tiefer er ins feinere Gefüge der Fremdsprache eindrang, desto wirkungsvoller konnten ihn die Schauergeschichten einfangen, deren Inhalt mit dieser düsteren Sprache makellos wiedergegeben werden konnte. Lewis verfiel in einen Rausch aus Schöpfungswut und Lerneifer. Nachdem ihm bewusst geworden war, wie leicht ihm das Deutsche zufiel – sei es nun aufgrund seines besessenen Fleißes oder einer besonderen Begabung –, versank er gänzlich im Nebel der Literatur. Was, wenn er versuchte, den Geist der Schauermären in seine angeborene Zunge zu übertragen? Wenn er durch solche Tat den Lesern der heimatlichen Insel nicht allein den Wieland und den Goethe näher brächte, sondern vielmehr die tief innen liegende Essenz der deutschen Seele? All die Geistergeschichten zeigten doch viel deutlicher als die Liebesdramen und launigen Stückchen jener Schreiber, was hier wirklich vor-, nein, umging. Ein Land, in dem Gespenstererscheinungen nicht nur kalte, düstere Schlosshallen aus dunklem Stein als Heimstatt beanspruchten, sondern über die hölzernen Fußböden der Bürgerwohnungen strichen, das war doch wahrhaft heimgesucht. Dies galt es den Engländern zu vermitteln, ihnen einen Anreiz zu geben, all dies mit eigenen Augen zu sehen, mit eigenen Augen oder vor dem inneren Auge, ausgelöst durch todesdunkle Druckerschwärze auf leichenblassem Papier. Was lag also n ä her,
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