Der Mönch in Weimar: Ein Schauerroman nach alter Mode (German Edition)
was ich erst am Tag darauf erfahren habe?“
Böttiger wusste darauf nichts zu entgegnen und nahm, um die Zeit zu überbrücken, einen Schluck Wein.
Lewis fuhr fort: „Glauben Sie mir, Geister existieren!“
Böttiger sah mit in Falten geworfener Stirn auf, doch Lewis sprach weiter: „Ich habe schon einmal Ähnliches erlebt, daheim in England, im alten Anwesen der Familie meiner Mutter ...“ Wieder ergriff Lewis das bedrückende Gefühl, doch er rang es nieder. „In Stanstead Hall gab es einen Flügel, der schon seit langer Zeit unbewohnt geblieben war, und von dem es – selbstverständlich – hieß, dort würde es umgehen. Besonders auf ein Gemach sollte dies zutreffen, den sogenannten Zedernraum, ein sehr verschwenderisch ausgestattetes Zimmer. In dieses einzutreten wagte sich nach Einbruch der Dunkelheit keiner der Diener, was auch immer der Anlass oder Anreiz sein mochte.“ Lewis sah, dass Böttiger weiter an seinem Wein nippte, während Eleonore mit glühenden Wangen lauschte.
„Ich musste auf dem Weg in meinen Schlafraum stets den Eingang dieses Zimmers passieren, mich vorbeischleichen an den großen Türflügeln, die mit seltsamen Schnitzereien verziert waren, und oftmals warf ich einen Blick des Schreckens über meine Schulter zurück, fürchtend, dass sich diese Türflügel mit einem Schlag auftun würden und das dort Verborgene offenbarten, jene fürchterlichen Schemen, die dort drinnen im Zedernraum hausen mochten ...“
„Genug, genug!“, brummte Böttiger und empfing dafür einen empörten Blick von seiner Frau. „Master Lewis, wir haben schon einige Male ihr fulminantes Talent zum schauerlichen Erzählen erleben dürfen. Doch erlauben Sie mir anzumerken, dass dies in Wirklichkeit nichts, aber auch gar nichts zu belegen vermag.“
„Dennoch“, mischte sich Eleonore Böttiger ein, „gab es das Phänomen des Erlebens vor dem Wissen darum!“ Sie lächelte Lewis an. „Vielleicht besitzt der junge Herr eine weitere besondere Gabe.“
„Eleonore, bitte, verschone uns mit deinen Ansichten über Geisterseherei, Mesmerismus und dergleichen. Wir stehen mit beiden Beinen fest auf der Erden Grund, und daran gibt es nichts zu rütteln.“ Böttiger leerte sein Glas. Zu Lewis gewandt sagte er: „All diesen Spuk beiseite – ich kann nur wiederholen, was ich vor Tagen erläutert habe. Hier im Hause hätten Sie weit besseres Logis als dort drüben bei der alten Witwe, die mir etwas schrullig zu sein scheint. Aber ...“, hier senkte er bedeutungsvoll Kinn und Stimme, „... Sie geruhten ja, unser freundliches Angebot …“
„Anzunehmen“, sagte Lewis knapp, und bevor Böttiger nachfragen konnte, fügte er hinzu: „Ich denke, die vereinigte Weimarer Adels- und Dichterwelt kann mich nicht so von meinem Tun ablenken wie ein leibhaftiger Geist – wobei niemand bei einem Geist von einem Leib sprechen sollte.“
Böttiger schnaufte und murmelte etwas von unsteter Jugend, während seine Frau strahlte und den Kopf von einem der Herren zum anderen wandte.
Lewis stand auf. „Justus steht mit meinem Gepäck bereits unten vor der Tür. Herr Böttiger, wenn Sie mir wie zuvor mit den Koffern zur Hand gehen möchten?“
Zweites Kapitel
In welchem Lewis auf große und kleine Geister trifft
S eine dritte Nacht in Weimar verbrachte Lewis mit angenehmen Träumen. Zumindest konnte er sich beim Erwachen an nichts Erschreckendes erinnern, als seine ersten Blicke auf das freundliche Interieur seiner neuen Schlafstätte fielen. Im Hause der Böttigers hatte er das Zimmer bezogen, das ihm schon vor seinem Abstecher in die Schreckenskammer der Witwe Recknagel – wie er sein ehemaliges Quartier insgeheim nannte – zugedacht war. Durch die leichten Vorhänge gemildert fiel das Morgenlicht auf die hellen Wände mit den kleinen gerahmten Aquarellen und brach sich in der gläsernen Vase voller Blumen, die auf dem furnierten Tischchen stand. Lewis’ Schreibutensilien warteten ungeduldig auf dem schmucken Rollsekretär. Lewis zwinkerte und bemerkte, wie sich die Gardinen vor dem leicht geöffneten Fenster bauschten. Ein Luftzug nur.
Lewis fuhr sich mit den Fingern durchs wirre, schwarze Haar und stieg aus dem Bett. Im Spiegel sah er, dass die Ringe unter seinen Augen schwächer geworden waren, wenngleich der leicht verquollene Ausdruck nicht vom Schlaf herrührte. Die schweren Lider und tiefliegenden Augen waren ihm von jeher gegeben. Wenn er sich rasiert hätte, würde sein Erscheinungsbild einigermaßen adrett
Weitere Kostenlose Bücher