Der Mönch in Weimar: Ein Schauerroman nach alter Mode (German Edition)
väterliche Weise lächelte und eine scheuchende Geste machte, schien es klüger, dem Vorschlag nachzukommen.
„Das wird das Beste sein. Ich fühle mich sehr ermattet.“
Lewis bedauerte, dass er mit Böttiger nicht über seinen Zustand sprechen konnte. Im Zweifel würde dieser ihm nur Überspanntheit wegen der bevorstehenden gesellschaftlichen Ereignisse attestieren, zumal er manchmal zu vergessen schien, dass der Engländer sich schon sicher an den Höfen in Paris und Berlin bewegt hatte. Auch schien Böttiger Weimar für den Nabel des geistigen Lebens in Deutschland, vielleicht sogar auf dem europäischen Kontinent zu halten.
Möglich, dachte Lewis, und gähnte nochmals. „Ich werde auf mein Zimmer gehen. Wann, sagte Herr Goethe, wollte mich die Kutsche abholen?“
„Ich werde Sie beizeiten wecken.“ Böttiger nickte und wies mit dem Kinn auf Lewis’ Kleidung. „Sie sollten sich etwas weniger leger kleiden. Ich bezweifle, dass ein Heuwagen vorfahren wird.“ Er lächelte und schmauchte an seiner Pfeife.
Lewis erwiderte das Lächeln und ging aus dem Zimmer, als sich Böttiger auch schon seinem Schreibtisch zuwandte.
Auf seinem Zimmer betrachtete Lewis seinen eigenen Schreibtisch und fragte sich, ob er sich nicht noch zur Sicherheit eine Lektion vornehmen sollte. Dann musste er wieder gähnen. Also setzte er sich aufs Bett, knöpfte die Weste auf und ließ sich zurücksinken. Während er noch einige Male „Tiefurt, Tiefurt“ vor sich hin murmelte und dabei jedes Mal die Stirn in Falten legte, dämmerte er langsam weg.
Die Träume von buckligen Weibern und Bluthunden, die Lewis, der einen Mantel mit Fuchspelzbesatz trug, heimsuchten, waren nicht ganz so furchtbar wie die Tatsache, dass jäh die Tür aufflog und ein hektischer Böttiger Lewis aus dem Schlaf rüttelte.
„Es ist schon spät!“, rief der und zeigte die Zähne, was dem schlaftrunkenen Lewis fürchterlich erschien, aber nur ein Zeichen für Böttigers Verlegenheit war. „Ich habe am Schreibtisch die Zeit vergessen. Sie müssen sich sputen!“
Lewis zwinkerte. „Ich muss ... was?“
„Eilen, Sie müssen sich eilen! Jeden Augenblick kann die Kutsche ankommen!“
Lewis sah zum Fenster, um am Sonnenlicht die Tageszeit abzuschätzen, doch er war noch zu benommen. Außerdem fuchtelte Böttiger mit den Händen. „Schnell, ein reines Hemd! Strümpfe!“ Er riss die Kleidertruhe auf und griff hinein. Lewis richtete sich mühsam auf, und schon hatte er die Wäschestücke in Reichweite, die Böttiger aufs Bett geworfen hatte.
„Wo ist Ihr guter Rock? Sie haben doch einen Frack, aus Samt vielleicht?“
„Ja, ja“, stotterte Lewis und wechselte die Kleidung, während er ständig Böttiger im Auge behielt, der ihm den Rücken zugewandt hatte und in Lewis’ Garderobe forschte. „Ah, in Weinrot, und die passende seidene Weste, die Halsbinde – mit Spitze, sehr schön – und ebensolche Ärmelbündchen, ja, das mag gehen. Gottlob sind die Schuhe geputzt ...“
Lewis versuchte, in die Hosen zu steigen und wurde langsam wach, hellwach sogar. Böttiger ging noch einmal die Kleidungsstücke durch und nickte. Er ließ sich auf den Stuhl vor dem Schreibtisch fallen und fuhr sich über die feuchte Stirn. Diskret schaute er über die Bücher und Schriftstücke, um nicht in Lewis’ Richtung blicken zu müssen und diesen vielleicht verlegen zu machen.
Lewis hingegen bekümmerte weniger Böttigers Anwesenheit als vielmehr die Tatsache, dass dieser bei seinem hastigen Eintreten versäumt hatte, die Tür zu schließen. So stand Lewis halb bekleidet mitten im Raum, die Tür gähnte weit offen und bot freien Blick auf den Flur – und vom Flur ins Zimmer. Was, wenn jetzt Eleonore ... Lewis ließ die Finger fliegen, um sich zu bedecken. Erst an den Westenknöpfen wurde er langsamer, was nötig war, denn zuvor hatte er oft genug den Knopf ins falsche Loch genestelt.
Böttiger hingegen hatte seine Begutachtung der Lewis’schen Sprachbemühungen abgeschlossen, auch war seine Aufregung verflogen, und so redete er auf den mit seiner Garderobe ringenden Lewis ein, nahm den Faden des Gesprächs vom frühen Nachmittag wieder auf, als seien die vergangenen Stunden nur ein Lidschlag gewesen.
„Unzweifelhaft werden Sie in Tiefurt auch den Herrn Bertuch treffen, den herzoglichen Schatullenverwalter …“
„Den – was bitte?“ Lewis schlang gerade die Halsbinde um seinen Nacken. Zunächst fragte er ganz automatisch nach dem ihm unbekannten Wort, doch dann
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