Der Mönch in Weimar: Ein Schauerroman nach alter Mode (German Edition)
begeben müssen. Der Schild, den Sie mir gezimmert haben, mag noch nicht ganz vollständig sein, aber ich bin sicher, er wird seine Dienste leisten.“ Er ging die letzten Stufen hinab. „Herzlichen Dank.“
Böttiger schaute drein, als würde er tatsächlich sein eigen Fleisch und Blut unvorbereitet ins Feld ziehen lassen müssen.
Lewis schmunzelte und sagte halblaut: „Ich werde Ihnen selbstverständlich in aller Ausführlichkeit berichten, was sich am heutigen Abend in Tiefurt ereignet.“ Diesmal hatte er den Ortsnamen fehlerfrei ausgesprochen. Er war aber der festen Überzeugung, dass dies nicht der Grund dafür war, dass Böttiger seine Leichenbittermiene ablegte und über beide Wangen zu strahlen begann.
Lewis verabschiedete sich von Böttiger und Eleonore, die die Hand hob, als wolle sie ihm die Halsbinde zurechtrücken, es aber dann doch nicht wagte und die Bewegung in eine etwas ungelenke Abschiedsgeste übergehen ließ. Dann trat der Engländer auf das Pflaster vor dem Haus, wo im hellen Sonnenlicht die Kutsche stand. Der Fahrer saß schon auf seinem Bock, und dann schwang die Tür des Schlages auf, und eine volle Stimme ertönte: „Noch einmal sattelt mir den Hippogryphen, ihr Musen, zum Ritt ins alte, romantische Land!“
Lewis erkannte den ersten Gesang aus Wielands Versepos Oberon , und er konnte mit einigem Nachsinnen gerade noch den anschließenden Teil zusammenbringen. „Wie lieblich um meinen entfesselten Busen der holde Wahnsinn spielt.“
Aus der Kutsche hörte er leisen Applaus, und dann beugte sich ein älterer Mann heraus und machte eine einladende Geste. Christoph Martin Wieland musterte den jungen Engländer scharf mit hellen Augen, um die schon einiges an Fältchen zu sehen war. Sein kräftiger Mund lächelte, als Lewis sich ihm gegenüber auf die Bank schob. „Eine erfreuliche erste Begegnung, Herr Lewis, ich fühle mich geehrt, dass Sie sich meiner Werke entsinnen.“
Lewis nickte. Er war froh, dass sein Gedächtnis ihn nicht im Stich gelassen hatte. Zum Glück waren es nur einige Zeilen vom Beginn des Epos gewesen, an andere Teile hätte er sich unmöglich erinnern können. Wenn er geahnt hätte, dass Wieland ihn derart prüfen würde, hätte er sich vorbereitet. Zu dumm, dass Böttiger ihm dieses Faible Wielands nicht mehr hatte mitteilen können. Lewis sah dem Poeten offen ins Gesicht, das eine dicke, fleischige Nase dominierte.
„Sie dürfen das nicht falsch verstehen“, zwinkerte Wieland. „Ich wollte Sie nicht auf die Probe stellen. Es schien mir eine hübsche Ironie, den vor unsere Kalesche gespannten Klepper als graziles Fabelwesen zu bezeichnen. Aber wenn ich meinen Scherz schon erklären muss ...“
„Verzeihung“, entgegnete Lewis halblaut, dem es schien, als zöge sich eine dichte Wolke über seinem Kopf zusammen, aus der sogleich der Dichterzorn auf ihn hinabfahren würde.
„Ich bitte Sie“, winkte Wieland ab. „Ich habe Sie auf Kosten meines Spaßes unterschätzt. Wie hätte ich ahnen können, dass Sie so beschlagen in ausländischer Dichtung, ja sogar in der meinen sind. Sie müssen wissen, das ist keineswegs üblich ...“
Er lehnte sich ein wenig aus dem Fenster, wobei er das Samtkäppchen festhielt, das auf seinem Kopf saß und unter dem an den Seiten dichtes, ergrautes Lockengekräusel hervorlugte. Er rief dem Kutscher zu loszufahren und ließ sich dann wieder gegen das Rückenpolster sinken. Durch diese Bewegung bot sich Lewis die Gelegenheit, Wielands Garderobe in Augenschein zu nehmen. Der trug einen dunklen Rock, der zwar sauber wirkte, aber keineswegs feierlich, und statt Lackschuhen Tuchstiefel, die bequem aussahen, aber dem bevorstehenden Abend unmöglich angemessen waren.
Ehe Lewis jedoch weiter über diese Dinge nachdenken konnte, führte Wieland seine Rede fort: „Sie sind ja ein ziemlich junger Mensch, und bei der Jugend sind meine Werke zunehmend unbeliebt, und das zehrt an mir, obgleich ich – wem ist das schon vergönnt – einer Werkausgabe in zweiundvierzig Bänden entgegensehe. Mein Verleger Göschen in Leipzig besorgt sie. Aber was nützt das? Schon vor zwanzig Jahren hat der Göttinger Hainbund – eine Gruppe junger sogenannter Geniedichter – einige meiner Bücher verbrannt, angeblich, um ein Zeichen für neue literarische Wege zu setzen. Sie können sich denken, dass ich seitdem ein gebranntes Kind bin. Demzufolge freut es mich, dass Sie sich so für die Schreibereien dieses alten Kauzes interessieren.“
Wielands
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