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Der Mönch in Weimar: Ein Schauerroman nach alter Mode (German Edition)

Der Mönch in Weimar: Ein Schauerroman nach alter Mode (German Edition)

Titel: Der Mönch in Weimar: Ein Schauerroman nach alter Mode (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Röder
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Schreibplatte. Eilig zog er die Lade auf und zerrte die Papiere ans Licht. Die hastigen Linien darauf schienen Lewis nicht weniger fremd und unheimlich als am Tag zuvor. Er war froh, dass er sie kopfüber in den Händen hielt, so dass er die Blasphemien darauf nicht lesen konnte. Je länger er darauf blickte, ohne mit den Lidern zu schlagen, bis sein Gesichtsfeld zu verschwimmen begann, desto deutlicher schienen sich dennoch einzelne Worte herauszubilden. Sie krochen aus dem trüben Grau von Untergrund und Schrift und schienen sich zu drehen – zu drehen, um sich erkennbar zu machen. Lewis krallte die Finger zusammen, und das geräuschvolle Rascheln schreckte ihn ins Wachsein zurück. Er keuchte. Dann quetschte und drückte er das Papier in den Fäusten zusammen, knüllte es zu einem unförmigen Brocken und schleuderte das ganze Bündel fort. Aus den Augenwinkeln sah er, wie es einem scheuen Tier gleich unter dem Bett Zuflucht suchte. Fort damit, dachte er. Nie würde er ruhig schlafen können, solange diese Gespinste in seinem Schädel umherspukten. Hektisch schlug er seine Bücher auf und drosch mit Vokabeln und Grammatik auf seine fahrigen Gedanken ein, bis er immer ruhiger wurde und schließlich ganz in der Nüchternheit des Lernens versank ...
    „Sie scheinen in Gedanken versunken, Master Lewis“, sagte Böttiger. „Wie ich erfuhr, ersetzten Sie das Frühstück heute durch Lektionen und waren auch vorhin kaum zu Tisch zu bewegen. Sehr löblich.“ Er sog an der Pfeife. „Es ist sehr gewissenhaft, sich vor dem Treffen heute Abend noch ein wenig firm zu machen.“
    Was auch immer firm bedeuten mochte, Lewis war es nur recht, dass Böttiger die Sache so sah. Aber wie konnte er sie auch anders sehen, Schulleiter, der er war. Gleichwohl, diese Auslegung der Dinge hatte etwas für sich, und Lewis beschloss, sie zu übernehmen. Hauptsache, ihm blieben die Erinnerungen an den teuflischen Text erspart, mit welchem Selbstbetrug er dies auch erreichen mochte.
    „Durchaus“, sagte Lewis also und setzte die Miene eines fleißigen Schülers auf, „und ebenso gewissenhaft möchte ich nun Ihren Ausführungen lauschen. Mit wem werde ich heute Abend zusammentreffen?“
    Böttiger nahm die Pfeife aus dem Mund und hob den Stiel wie einen Taktstock. „Zunächst ist es für Sie bedeutungsvoll zu wissen, wo Sie sich aufhalten werden.“
    „In Tiefurt.“ Lewis beeilte sich mit der Antwort auf die noch nicht einmal als rhetorisch zu bezeichnende Frage so sehr, dass er sich grauenhaft mit der Aussprache verhaspelte.
    Böttigers Mundwinkel zuckte. „Richtig“, nickte er. „In Tiefurt. Der Sommerresidenz der Herzoginmutter Anna Amalia, nicht weit vor den Toren Weimars. Vor fünfzehn Jahren, als der Herzog die Regierungsgeschäfte übernahm, war geboten, auch seinem jüngeren Bruder, Prinz Konstantin, eine kleine Hofhaltung zu übergeben, und so bot sich Tiefurt an, da Ettersburg und Belvedere ...“ Böttiger sog Tabakrauch ein. „Aber das ist nicht besonders wichtig. Wichtiger ist, dass in den vergangenen Jahren in Tiefurt Kultur geschaffen wurde und wird, junger Master Lewis! Aristokratie und Bürgertum haben sich dort im Zeichen der Künste vereinigt und Theater gespielt, musiziert, Literatur verfasst, gelesen und diskutiert. Fast könnte man sagen, dass Sie heute Abend in das Herz Weimars eintreten werden, auch wenn es sich nicht direkt im Körper der Stadt befindet. Aber sein Puls ist so kräftig, dass es auch von dort aus alle wichtigen Köpfe mit frischem Blut versorgen kann.“
    Lewis schluckte.
    Böttiger bemerkte es und machte eine fast unmerkliche, entschuldigende Geste. „Aber davon werden Sie sich ja selbst ein Bild machen können, und da Sie dortselbst ebenfalls ein Anschauungsobjekt sein werden, so medizinisch das nun klingen mag, sollten Sie doch wissen, wer Sie dort mustern und sich ein Bild von Ihnen machen wird. Zunächst werden Sie Herzogin Anna Amalia vorgestellt werden. Ich zweifle nicht daran, dass Sie in Paris und Berlin die gewisse Etikette erlernt haben, also dürfte das Protokoll, auch wenn es hier etwas weniger streng gehandhabt wird, zweitrangig sein. Dass die hohe Frau sehr feinsinnig ist, haben Sie mittlerweile erfahren. Sie hat den großen Wieland als Prinzenerzieher nach Weimar geholt, was von großer Weitsicht und weiser Größe spricht, um es so spielerisch auszudrücken, und es zeigt, dass die Dame dann und wann einen Scherz liebt, welchen sie von Wieland allezeit erhalten mag. Zuweilen

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