Der Mönch in Weimar: Ein Schauerroman nach alter Mode (German Edition)
lässt die Herzogin sogar alle Fürstlichkeit zu Hause, ich erinnere mich an eine Mondscheinszene in Belvedere, wo Studentenlieder erklangen und der Jagdjunker von Wedel sogar anfing ...“ Böttiger schüttelte den Kopf. „Nein, ich schweife ab, dieser Herr braucht Sie nun wirklich nicht zu interessieren, nein, gewiss nicht.“
Er sah Lewis mit Nachdruck an, als hoffe er, dass dieser ein Zeichen von Interesse an eben dieser Episode zur Schau stellen würde, doch der junge Engländer zeigte keinen tieferen Ausdruck im Gesicht als den eines aufmerksamen Zuhörers.
„Nun denn, die Herzogin. Sie hat ihr fünfzigstes Jahr überschritten, war aber damals, als Wieland nach Weimar kam, eine sehr schöne Frau in den Dreißigern, und nach dem, was ich von dieser Zeit gehört habe ...“ Er machte eine bedeutsame Pause, während der sich Lewis fragte, auf welche der eben genannten Informationen nun die Bedeutung gelegt sein wollte. Die Zeit, von der Böttiger sprach, war seit zwei Jahrzehnten verstrichen, und somit konnte er sich nur auf fremde Quellen berufen, es war zweifelhaft, dass er als weit entfernt lebender Zwölfjähriger etwas davon aus erster Hand erfahren hatte. Dennoch fuhr der Schulmeister mit dem Gönnerton des Augenzeugen fort: „... so war der Herr Wieland der Regentin sehr zugetan und huldigte ihr in vollstem Enthusiasmus. Er hat derzeit sogar ein Geburtstagsvorspiel entworfen, um der Herzogin zum Wiegenfeste ohne Aufsehen die süßesten Dinge sagen zu können, und all das, während seine Frau von arger Krankheit geschwächt darniederlag!“ Böttiger schnalzte in leiser Entrüstung mit der Zunge. „Aber mittlerweile sind beide ja etwas gesetztere Herrschaften, von dort ist also kein Skandal zu befürchten.“
Lewis fragte sich, ob er tatsächlich einen Anflug von Verdrossenheit in der Stimme Böttigers vernommen hatte, wollte diesem aber solch eine Niedertracht nicht einmal in Gedanken vorwerfen. Obgleich er in den letzten Tagen ausreichend Kostproben von Böttigers Klatsch- und Tratschsucht erhalten hatte und wohl noch erhalten würde.
„Wiewohl, wenn ich an jene Landpartie zurückdenke ... zu acht waren sie damals von Tiefurt nach Denstedt gefahren – auf einem Heuwagen! Sehr pastoral, nicht wahr? Geradezu ein Hirtenstück, und auf halbe m Wege brach ein Gewitter los und durchnässte die ganze Gesellschaft, besonders die Herzogin und ihre Hofdamen, die sommerlich gekleidet waren, bis aufs Hemd. Wieland bot höflich seinen Überrock an, dreimal dürfen Sie raten, wem. In Denstedt musste neue Garderobe herangeschafft werden. Natürlich wurde die ganze Expedition von allen Teilnehmern bejubelt, und als die Frau des örtlichen Pflegers, des Herrn von Lincker und Lützenwieck nun …“
Lewis hob die Hand. „Sagen Sie, Herr Böttiger, wen darf ich denn noch am Hofe zu Tiefurt ...“ – furchtbar, wie dieses Wort aus seinem Munde klang – „... erwarten?“
Der Gymnasialdirektor wirkte überrascht, ein Zug des Tadels huschte über sein Gesicht, doch dann bemerkte er seine Abschweifung und räusperte sich. „Natürlich. Die Lincker werden Sie dort nicht antreffen, aus diesem Grunde müssen Sie auch nicht unbedingt Näheres über sie erfahren. Aber ...“ – er senkte die Brauen ein wenig und versuchte finster und bedeutungsschwanger auszusehen, was ihm gehörig misslang, da seine Wangen allzu gesund gefärbt waren – „... Sie werden dort ein ganz anderes Frauenzimmer erleben. Geradewegs wie einem Ihrer favorisierten Schauerromane entstiegen. Ein garstiges Weibsbild, kurz gewachsen und buck lig , mit scharfer Zunge und glühendem Auge.“ Böttiger biss so heftig auf das Mundstück seiner Pfeife, dass es leise knirschte.
Lewis runzelte die Stirn. So hatte er Böttiger noch nicht erlebt, es schien, als sei dies eine persönliche Angelegenheit.
„Das Fräulein von Göchhausen, Master Lewis“, presste Böttiger zwischen den Zähnen hervor, „ist ein Geschöpf, vor dem Sie sich in Acht nehmen müssen. Sie ist die erste Hofdame der Herzoginmutter. Was sie an äußerlichen Reizen nicht besitzt, macht sie durch geschliffenen Spott und gelehrte Retouren wett. Der ist nicht beizukommen, also setzen Sie hier nicht allzu sehr auf das Interesse und Wohlwollen, das allen anderen Ihnen aufgrund Ihres Status, Ihrer Herkunft und Ihrer Person entgegenbringen werden. Sie haben in England doch die Fuchsjagd, nicht wahr?“
Lewis war konsterniert ob des plötzlichen Gedankensprungs. „Ja, sicher, aber
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