Der Mönch in Weimar: Ein Schauerroman nach alter Mode (German Edition)
tatsächlich mochte er mit seinem hellen, wachen Blick und der prägnanten Nase an diesen Vogel erinnern. Die dunkle Kopfbedeckung tat ihr Übriges.
„Außerdem“, fügte Wieland hinzu, „werden wir noch jemanden mitnehmen.“
Lewis hatte während des Gesprächs nicht auf den Weg der Kutsche geachtet – was ihm aufgrund seiner mangelnden Ortskenntnis ohnedies wenig Aufschluss gegeben hätte –, aber noch befanden sie sich mitten in der Stadt.
„Oh“, entfuhr es ihm. „Um wen handelt es sich denn?“ Im Geiste ging er die Personen durch, die Böttiger erwähnt hatte.
„Eine Bekanntschaft, die Ihnen zusagen wird. Gottfried von Herder.“ Wieland lächelte geheimnisvoll.
Herder. Der Gottesmann und Förderer Böttigers. Die Aussicht, mit Herder und Wieland, mit diesen beiden Größen auf engem Raum in einer Kutsche sitzen zu müssen, behagte Lewis wenig. Wieland schien umgänglich, doch ... nein, Böttiger hatte nur das Beste zu berichten gewusst, selbst wenn man seine Befangenheit bedachte.
„Herr von Herder“, wiederholte Lewis.
„Ganz recht“, sagte Wieland und lächelte wieder.
„Ich vermeine mich aufgrund der Worte von Herrn Böttiger zu erinnern“, merkte Lewis an, „dass die Wohnung des Herrn von Herder nur unweit vom Haus der Böttigers liegt. Warum also die lange Fahrt?“
Wieland hob die Brauen, bis sie fast an den Rand des Samtkäppchens stießen. „Ein aufmerksamer junger Mann, in der Tat.“
„Ich hatte einen guten Stadtführer, und es schien mir höflich, gewissenhaft zuzuhören.“
„Richtig. Nun, dann wird Ihnen auch nicht fremd sein, dass sich nicht jeder Mann immer in seinem Haus aufhält.“
Lewis konnte sich aus dem geheimnisvollen Spiel von Wielands Mundwinkeln keinen Reim machen. Er nickte. „Sicher.“
„Gut, denn wir sind schon nahezu ...“ – Wieland blickte aus dem Fenster zur Rechten – „... da.“
Lewis sah ebenfalls hinaus. Gerade bog die Kutsche in eine Straße ein, und in einiger Entfernung, am Ende der Häuserzeile, konnte er eine Gestalt stehen sehen. Keine weiteren Fußgänger waren unterwegs, so dass sich dieser Mensch deutlich vor den Häusern abhob. Dann lenkte der Kutscher ein, und Lewis war der Blick in die Ferne verwehrt, nur Fenster und Türen zogen vorbei. Wieland streckte den Kopf nach draußen und winkte, dann rief er dem Kutscher zu, er möge halten. Im Fenster erschien zunächst ein dunkelblauer Rock mit blanken Knöpfen, darüber ein schneeweißer Kragen und darüber wiederum ein gefälliges, jugendliches Gesicht. Wieland grüßte und öffnete den Schlag.
Ein junger Mann stieg in die Kutsche, die Kopfbedeckung in der Hand. Lewis war verdutzt. Dies sollte Herder sein? Der, der sich jetzt neben Wieland setzte, war unzweifelhaft in seinem eigenen Alter. Was für einen Scherz hatte sich der Schriftsteller hier ausgedacht?
Wieland stellte die beiden einander vor. „Matthew Lewis aus England – Gottfried von Herder.“
Herder grüßte höflich, was Lewis erwiderte, jedoch nicht, ohne fragend dreinzuschauen.
Wieland legte den Finger ans Kinn. „Vielleicht hätte ich präziser sein sollen. Dies ist Wilhelm Gottfried von Herder, der Sohn unseres verehrten Johann Gottfried von Herder. Aber dies bleibt immer noch Matthew Lewis.“
„Matthew Gregory Lewis“, sagte der, obwohl er seine Taufnamen – der eine der des Vaters, der andere der Nachname der Großmutter väterlicherseits – seit jeher verabscheute. „Um präzise zu sein.“
Wieland lachte und Herder mit ihm, was Lewis Gelegenheit gab, den jungen Mann zu mustern. Wilhelm Herder hatte volles , dunkles Haar und ebensolche Augen unter kräftigen Brauen. Seine Nase war gerade, der Mund schön geschwungen, das Kinn charakteristisch. Seine Zähne schimmerten, als er schmunzelte. Die Stimme war angenehm dunkel, als er das Wort an Lewis richtete. „Herr Wieland bot mir an, in seiner Kutsche mitzufahren, statt meinen Vater nach Tiefurt zu begleiten. Vermutlich wollte er Sie nicht mit ihm allein lassen , um Sie nicht allzu ungeteilt seiner Ironie auszusetzen.“
„Wie wahr“, sagte Wieland und zwinkerte. „Wie laufen die medizinischen Studien bei Hufeland?“
„Danke, gut. Da der Herr Hofmedikus im kommenden Jahr die Professur in Jena annehmen wird, werde ich ihm wohl dorthin folgen.“
„Sehr schön.“ Er sah von Herder zu Lewis. „Während ich die Menschheit nur mit Ironie seziere, werden Sie es bald mit dem Chirurgenmesser erledigen.“
„Au, Herr Wieland“, machte
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