Der Mönch in Weimar: Ein Schauerroman nach alter Mode (German Edition)
Angelegenheit mit dem Häusertausch, wenn man es so nennen mag. Ich sehe, Sie sind gut unterrichtet. Außer möglicherweise über Herrn Herder, wie mir scheint. Denn ich gehe davon aus, dass Ihnen Herr Böttiger über seinen Gönner nur das Beste zu berichten wusste und die etwas unangenehmeren Dinge ausließ. Eine Abwägung, die er nicht immer vornimmt.“
„Da haben Sie recht.“
„Dann lassen Sie mich einige Erklärungen nachreichen, damit Sie nicht ganz so schlecht auf Herrn Herder zu sprechen sind, auch wenn er Sie so angefahren hat.“
„Oh, ich verübele Herrn Herder doch nicht seine Vor- oder Misslieben, das steht mir nicht zu.“
Fräulein von Göchhausen hob einen spitzen Finger. „Das tut nichts zur Sache. Ihnen ist als – wenn auch intelligenter und sehr fortgeschrittener – Neuling in unserer Sprache doch sicher nicht das Spiel entgangen, das Herr Herder mit seinen Anreden vollführt hat?“
„Oh ja, doch ich dachte mir kaum etwas dabei. Es schien, als wollte er Herrn Bertuch durch die gehobene Anrede besonderen Respekt erweisen ...“
„Nein. Er hält Bertuch für einen Zierbengel. Diese Abneigung scheint er noch aus seiner Zeit in Königsberg mitgebracht zu haben, wo er Schüler Kants war ...“
„Wessen bitte?“, fragte Lewis verwirrt.
„Immanuel Kants, des Philosophen. Sie haben gewiss von seinen Kritiken der Vernunft gehört?“
„Natürlich“, sagte Lewis. „Natürlich.“
„Kant war damals ein ziemlicher Mann von Welt, ein Galan, der bordierte Gewandung trug, gern alle Schneider besuchte und bei ihnen auch gern gesehen war. Er war extrem gesellig und hielt Herder, der ständig über seinen Büchern brütete, an, es ihm gleich zu tun, da man sich nur in der Welt bilden könne.“
„Ich brüte auch über Büchern. Wenn nicht, könnte ich mich nicht mit Ihnen unterhalten.“
„Aber Sie könnten sich auch nicht mit mir unterhalten, wenn Sie bei sich in England geblieben wären. Oder bei den Böttigers.“
„Ja, natürlich ...“ Lewis begann, das Fräulein von Göchhausen mehr und mehr zu schätzen. Sie war klug und redete erfreulicherweise nicht allein von sich. Wenn sie auch dem offenbar in Weimar üblichen Benehmen frönte, über andere viel und detailliert zu sprechen.
„Aber ich schweife ab“, sagte Fräulein von Göchhausen. „Herder hat Bertuch geihrzt , wie ich es nennen möchte, Ihnen gegenüber aber das Du angeschlagen ...“
„Ich dachte, dies sei Höflichkeit mir gegenüber. Schließlich verwendet die englische Sprache nur diese Vokabel zur Anrede. Sie können mir glauben, wie schwierig es für mich ist, immer das Sie zu benutzen. Ich bin fast froh, noch keine näheren oder niederen Bekanntschaften gemacht zu haben, so dass ich gezwungen wäre, je nach Person die Anrede zu wechseln.“
„Oh nein. Auch wenn der Gedanke etwas für sich hat, von Ihrer Warte aus betrachtet, so muss ich Ihnen doch sagen, dass es sich anders verhält. Wir benutzen das Siezen erst seit kurzer Zeit. Es scheint uns modisch und vor allem erfreulich gleichstellend – etwa wie die einheitliche Anrede in Ihrer Muttersprache. Herr Herder aber wehrt sich heftig dagegen. Er besteht auf dem Du und dem Ihr ,da nur dies die wahre Gebrauchssprache sei, bei der man den Menschen ins Gesicht sehe. Mit der dritten Person kröche man um den andern herum.“
„Das Wort hat er tatsächlich verwendet!“, erinnerte sich Lewis.
„Sehen Sie, so verhält es sich mit Herrn Herder“, nickte sie.
„Aber ist es nicht brillant, wie sehr ihm an dem angemessenen Umgang mit den Menschen gelegen ist? Ein echter Philosoph!“
„Schön, dass Sie es so sehen. Er geht sogar weit über das Menschliche hinaus. Ich darf Ihnen sagen, dass er sich auch auf den Umgang mit Schweinen versteht und große Stücke auf deren Würde, Anmut und Republiktreue gibt.“
Lewis schaute skeptisch. „Sie scherzen ...“
„Keinesfalls. Aber diese Anekdote lassen Sie sich besser von Herrn Wieland erzählen, der hatte nämlich den diesbezüglichen Disput mit Herrn Herder, und ich denke, er vermag das auch sehr amüsant zu tun. Sie können mir sicher beipflichten, Sie haben ja sowohl Wieland als auch Herrn Herders jüngere Inkarnation kennengelernt. Ein angenehmer junger Mann übrigens.“
„In der Tat“, stimmte Lewis zu und blickte an Fräulein von Göchhausen vorbei in den Raum hinein, um nach dem jungen Herder zu suchen. Er sah ihn neben Corona Schröter stehen und sich angeregt mit ihr unterhalten. Mit einem Mal
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