Der Mönch in Weimar: Ein Schauerroman nach alter Mode (German Edition)
hatten. Der mürrische Blick, den er während der Rezitationen Corona Schröters zur Schau gestellt hatte, war geblieben, wie Lewis mit Unbehagen feststellte. Er grüßte mit zackigem Nicken, und als er sprach, bewegten sich seine schmalen Lippen kaum, von den genauso schmalen Brauen ganz zu schweigen. „Major von Knebel, angenehm!“
„Der Erzieher des jungen Prinzen Constantin“, entsann sich Lewis der vorangegangenen Lektion Wielands.
Knebel war offenkundig geschmeichelt, und seine Miene hellte sich auf, die harte Querfalte auf der Nasenwurzel glättete sich. „In der Tat“, versetzte er schmunzelnd. „Ich versuchte, all das, was der Herr Geheimrat dem jetzigen Herzog vermittelte, gleichermaßen auch dessen jüngerem Bruder angedeihen zu lassen.“
„Dann genoss der Prinz also eine doppelte Erziehung.“
„Ein interessanter Ansatz.“ Von Knebel sah Lewis prüfend an. „Dennoch möchte ich sagen, da ich mit meinem Freund Goethe so manches Interesse teile, war diese Erziehung aus einem Guss.“ Er sah kurz in Richtung Fenster. „Aber sagen Sie, Sie als Engländer – was halten Sie von diesem Anwesen? Wie Sie vielleicht bemerkt haben, ist die Parklandschaft nach englischem Vorbild gestaltet.“
Lewis konnte sich des Verdachtes nicht erwehren, dass von Knebel nach Komplimenten fischte. „Oh“, entgegnete er. „Nach dem Wenigen, das ich am Ende unserer turbulenten Anfahrt davon habe sehen können, ist alles ganz trefflich gelungen.“
„Das von einem zu hören, der es aus erster Hand wissen muss, ehrt mich besonders!“ Von Knebel strahlte, und mit einem Mal wirkte er um Jahre jünger. „Sie müssen wissen, dass ich vor nahezu zwanzig Jahren Paris besuchte – nun ist dies ja nicht mehr zu empfehlen –, und die dortige Parkgestaltung sagte mir gewiss nicht zu.“
Lewis begrüßte diese Wendung im Gespräch und redete nun seinerseits über Paris, worauf von Knebel wiederum das eine oder andere zu berichten wusste. Dieser Erfahrungsaustausch ging so lange hin und her, bis sich der buntgestreifte Frack näherte, in dem Friedrich Justin Bertuch steckte. Er gesellte sich ohne große Vorrede zu ihnen.
„Ich habe mir erlaubt, ein paar Fetzen Ihrer Unterhaltung aufzuschnappen, aus denen hervorging, dass Sie über Paris reden!“ Dabei lächelte er gewinnend, was seinen Zügen entgegenkam, die nicht unbedingt feist waren, aber doch unverkennbar zu einem Genussmenschen gehörten. Sein Kinn war gerundet und wirkte immer wie neugierig vorgereckt. Auch die Nasenspitze schien äußerst rund, und unter den dichten Brauen schauten warme Augen ein wenig schläfrig hervor.
„Paris! Oh, ich schätze den Luxus und die feine Hofetikette über alle Maßen. Hier geht es manchmal etwas preußisch zu, nicht wahr, Knebel?“
„Ja, ja ...“, brummte der, und mit einem Mal war wieder der griesgrämige Ausdruck auf seinem Gesicht erschienen. Er wandte sich an Lewis. „Ich werde zu Herrn Wieland gehen, den habe ich noch nicht begrüßt. Ich denke, Herr Bertuch hier wird Sie gut unterhalten.“ Dann machte er auf dem Absatz kehrt und ging.
Bertuch schien es nicht zu bemerken, sondern redete sogleich auf Lewis ein. „Ja, recht hat er, zu Wieland zu gehen. So ein fabelhafter Mensch. Sie hatten ja auch schon die Freude, ihn kennenzulernen, nicht wahr? Ja sicher, Sie kamen ja zusammen an. Ein furioser Auftritt übrigens, Respekt! Mit soviel Schwung, obgleich man doch allgemein über das eher lethargische Temperament der Engländer zu berichten weiß. Aber wie so oft ist doch allein die eigene Anschauung die wahre, da stimmen Sie mir sicher zu.“
Lewis schwirrte der Kopf. Dieser Bertuch war reichlich überspannt, und schnell sprach er obendrein. Zumal hatte er die bizarre Angewohnheit, sich ein wenig schief zu halten und seinem Gegenüber vorrangig die linke Seite entgegenzurichten. Er glaubte wohl, dass diese die attraktivere Hälfte seiner selbst wäre. Es schien Lewis erstaunlich, dass dieser Geck der herzogliche Schatullenverwalter war. Ob er in Gelddingen den nötigen Ernst walten ließ, sofern es nicht um Äußerlichkeiten ging, für die es Geld auszugeben galt?
„Ja, sicher“, sagte Lewis langsam.
Bertuch blinzelte und rückte seine linke Seite etwas näher heran. „Aber was von alldem bejahen Sie denn nun? Dass Sie Wieland schätzen, Wieland kennen? Dass Engländer gemeinhin lethargisch sind, Sie aber nicht? Dass man sich möglichst ein eigenes Urteil bilden sollte?“
Lewis wusste nichts zu entgegnen.
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