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Der Mönch in Weimar: Ein Schauerroman nach alter Mode (German Edition)

Der Mönch in Weimar: Ein Schauerroman nach alter Mode (German Edition)

Titel: Der Mönch in Weimar: Ein Schauerroman nach alter Mode (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Röder
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erschien es wie das Haupt eines Gehenkten am Galgenstrick. Dann brach sich das erste Licht im Kristall, und Lewis war überrascht, um wie viel heller und farbiger das Funkeln aus der Nähe betrachtet wirkte. Das Pendel begann, langsam zu schwingen, und Leone stimmte seine monotone Wortfolge an. Lewis folgte dem Pendel mit den Augen, lauschte der Stimme und versuchte gleichwohl, hellwach zu bleiben. Das Glitzern und Strahlen blendete ihn förmlich, auch verschwamm es für einen Augenblick, als Lewis zu blinzeln vergaß. Er bemerkte, wie die Stimme des Mesmeristen einen seltsamen Hall bekam, als spräche er aus weiter Ferne, quer durch einen großen Saal. Die Lichter begannen, entgegen der Pendelbewegung des Kristalls zu tanzen, auf und ab und kreuz und quer und auch im Kreis herum.
    Dann wurde es einen Herzschlag lang dunkel.
    Das Licht, das heimkehrte, war nicht von jenem kristallenen Blitzen und auch nicht der Schein der Kerzen. Es strahlte in dunklem, körperlichem Rot und pulsierte wie ein Herzschlag. Heraus schälte sich das Bild einer Frau, in Weiß gehüllt. Lewis erkannte ein Engelshaupt von bezauberndem Ausdruck. Die Lippen schienen ihm von der betauten Frische einer Rosenknospe. Das gewellte, blonde Haar war von einem schmucklosen Band zusammengefasst, und die Pracht der Locken reichte in seiner Fülle bis zur Hüfte seiner Trägerin. Der Hals war von schlanker, wohlgerundeter Vollkommenheit. Die Gestalt hob einen Arm und eine Hand in ebenmäßiger Vollendung an die Augen, die sanft und blau waren und für Lewis den Glanz des Himmels in sich zu tragen schienen. Sie erstrahlten in juwelenhaftem Leuchten, und in diesen spiegelte sich Lewis selbst: ein Mann von ausnehmend angenehmer Gestalt, mit langem Wuchs und anziehendem Blick. Eine Adlernase, zwei schwarze, glänzende Augen und dichte, zusammenstehende Augenbrauen waren die auffallendsten Züge seines Gesichts. Sein Haar war hellbraun. Obwohl er in der Blüte seines Lebens war, so hatten doch Studium und Nachtwachen seine Wangen fast gänzlich entfärbt. Er trug eine Mönchskutte. Lewis sah sich um. Er schien in einer Kirche zu sein. Viele silberne Leuchten erleuchteten den großen runden Platz vor dem Altar und die Seitenteile der Kirche, die zugleich die melodische Stimme der Orgel und religiöse Gesänge aus dem Chor erfüllten. Der Altar war wie an hohen Festtagen ausgeschmückt und von schöngekleideten Personen umgeben. Vor den Altarstufen stand die Frau, in einem prächtigen Hochzeitskleid und mit allen Reizen jungfräulicher Bescheidenheit geschmückt. Lewis näherte sich ihr, und sie sah ihn aus ihren blauen Augen an. Dann sprang er vor, mit einem schnellen, tierhaften Satz, und warf sie rücklings auf den Altar. Ihr Gewand zerriss unter seinen krallengleichen Fingern. Auf dem heiligen Stein tat er ihr Gewalt an, und als sie schrie, zog er einen Dolch aus den Falten seiner Kutte und stieß ihn der Frau ins Herz, so dass das Blut heiß aufspritzte.
    Lewis lag auf dem Parkett im Tiefurter Gesellschaftszimmer und zitterte am ganzen Körper. Er hörte eine schrille und gequält klingende Stimme, die fortwährend: „Nein, nein!“ schrie.
    Er erkannte, dass es seine eigene war. Im flackernden Kerzenlicht sah er die fahlen Gesichter fremder Menschen, die sich über ihn beugten und auf deren Zügen schieres Entsetzen lag.
    Dann versank er in gnädige Ohnmacht.

Fünftes Kapitel
    In welchem es innerhalb und außerhalb der Weimarer Köpfe spukt
    D ie Welt schwankte in tiefer Finsternis. Etwas klirrte und schabte nahe bei Lewis in der Finsternis. Als er mit Mühe die Augen öffnete, sah er Funken und Blitze zucken. In deren Irrlicht erkannte er zwei Gestalten, die auf ihn hinabsahen. Er schrak aus seiner liegenden Position auf und hob den Oberkörper, um sich auf einen Arm zu stützen. Er fühlte gepolstertes Leder und erkannte, dass er sich im Inneren einer Kutsche befand, die augenscheinlich durch einen nächtlichen Wald fuhr. Draußen huschten Schemen von Bäumen vorbei, die von Lampen am Kutschbock matt beleuchtet wurden. Nun flammte die Kerze einer kleinen Handlaterne auf. Auf der Bank ihm gegenüber saßen der junge Herder und Goethe, die ihn besorgt ansahen.
    „Sie sind wach, welch ein Glück“, sagte Herder. „Wir wollten Sie schon zu einem ...“ – er stockte kurz und lächelte schief – „... richtigen Arzt bringen, nachdem ich nicht mehr als ihren Puls hatte fühlen können.“
    Goethe verstaute Feuerstein und Stahl in einer Schublade

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