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Der Mönch in Weimar: Ein Schauerroman nach alter Mode (German Edition)

Der Mönch in Weimar: Ein Schauerroman nach alter Mode (German Edition)

Titel: Der Mönch in Weimar: Ein Schauerroman nach alter Mode (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Röder
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seinen Ausspruch lachten.
    „Bitte sammeln Sie sich und blicken Sie auf das Pendel“, ermahnte ihn Leone, der einige Zähne unter dem schwarzen Schnurrbart hervorblitzen ließ.
    Goethe nickte gnädig.
    „Folgen Sie dem Pendel“, sagte Leone in beschwörendem Ton und wiederholte es mit einer Regelmäßigkeit, die selbst auf die anderen Anwesenden einschläfernd wirkte. Der Kristall schwang hin und her, seine Facetten warfen farbige Irrlichter in den Raum, und immer wieder sprach Leone dieselben Worte.
    Goethe hatte mittlerweile die Mundwinkel sinken lassen. Lewis fragte sich, ob dies von Entspannung der Gesichtsmuskeln herrührte oder ob die Hypnose begann, ihre Wirkung zu entfalten. Seine Augen hielt Goethe aber weiterhin offen, und seine Pupillen folgten aufmerksam dem Pendel.
    „Ihre Lider werden schwer“, suggerierte Leone.
    Lewis fühlte sich angesprochen, nahm sich aber zusammen und betrachtete weiter das Geschehen.
    Goethe blickte auf das Pendel und ließ die Augäpfel hin- und herrollen.
    „Ihre Lider werden schwer“, wiederholte Leone.
    Mit einem Mal ließ Goethe seine Augen zuklappen. Lewis glaubte zu erkennen, wie ein schwaches Lächeln über die Züge Leones glitt. Es konnte aber auch ein Schatten sein, den der Oberlippenbart geworfen hatte. Das Pendel stellte seine Bewegungen ein, und Leone barg den Kristall in seiner Faust.
    „Nun“, begann er, „treten Sie tief in die Traumwelt ein. Sie vergessen das Jetzt und sinken tiefer ... und tiefer ... und tiefer ...“
    Die Gesellschaft hatte sich leicht vorgebeugt, um sich keine Regung auf dem entspannten Gesicht des Geheimrats Goethe entgehen zu lassen. Lewis erkannte, wie dessen Mundwinkel zuckten.
    „Nun“, sagte Leone, „sagen Sie uns, was Sie sehen ...“
    Goethe öffnete schläfrig den Mund, und heraus drang ein kolossaler Schnarchton. Die Gesellschaft erschrak! Da riss Goethe die Augen auf und scherzte: „Ich sagte doch, dass es bei mir nicht funktionieren würde.“
    Leone stand da und vermochte es gerade noch zu vermeiden, seine Empörung allzu offen zu zeigen. Während Goethe nachlässig ein Bein über das andere schlug, sprang die Herzoginmutter dem fahrig an seinem Schnurrbartende zwirbelnden Leone bei.
    „Herr Goethe! Ich muss Sie rügen! Verderben Sie uns allen doch nicht den Spaß an dieser Vorstellung. Reißen Sie sich zusammen, und lassen Sie doch einmal ihre Beherrschung fallen.“ Der Ton Anna Amalias ließ allerdings einiges an Schärfe vermissen, und als sie geendet hatte, legte sie zierlich die Finger an den Mund und lächelte dahinter.
    Goethe setzte das übergeschlagene Bein heftig aufs Parkett, dass die Sohle knallte, und rief in gespielt militärischem Ton: „Zu Befehl, Herzoginmutter!“
    Während die Gesellschaft sich amüsierte, wandte Goethe sich an Leone. „Nun denn, versuchen Sie noch einmal Ihr Glück!“
    „Glück hat damit nichts zu tun“, antwortete Leone. „Das hier ist kein Spiel.“ Diesen letzten Satz sprach er sehr ernst aus, was jedoch im Gemurmel der anderen Gäste unterging.
    „Wenn ich um Ruhe bitten darf!“, sagte Leone dann, und es wurde still im Gesellschaftszimmer. Wieder schwang das Pendel, wieder tanzten die bunten Lichter über die Wände und Gesichter der Anwesenden.
    Wieder sprach Leone seine monotonen Worte, langsamer diesmal und mit schleppender Stimme.
    Goethes Wimpern flatterten und senkten sich langsam. Lewis glaubte, das Weiß der Augäpfel gesehen zu haben, ehe die Lider Goethes sich darüberlegten. Im Raum war zwischen den Worten Leones nur das tiefe, ruhige Atmen zu hören, das aus Goethes Nase drang und das sich in nichts von dem eines Schlafenden unterschied.
    „Hören Sie mich?“, fragte Leone.
    „Ich höre Sie“, entgegnete Goethe mit hohler Stimme, wobei er kaum die Lippen bewegte.
    „Was sehen Sie?“
    „Dunkel.“
    „Ich möchte, dass Sie sich noch tiefer in dieses Dunkel begeben, in die Tiefen Ihres Geistes hinein, und dann möchte ich, dass Sie in sich hineinhorchen.“
    Goethes Atemzüge begannen, langsam leiser zu werden, als entferne er sich, als stiege er eine Treppe hinab, die aus dem Zimmer hinaus in eine unbekannte Tiefe führte. Lewis spürte, wie sich rings um ihn die anderen Gäste in Erwartung dessen, was nun folgen mochte, anspannten. Zu seiner Linken, etwas entfernt, glaubte er, eine Bewegung wahrzunehmen.
    „Was hören Sie?“, fragte Leone nachdrücklich.
    „Ich höre ...“, sagte Goethe undeutlich. „Ich höre...“ Er reckte den Kopf ein

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