Der Mönch in Weimar: Ein Schauerroman nach alter Mode (German Edition)
wenig zur rechten Seite. „Ich höre, wie Bertuch kandierte Veilchen nascht!“
Leone riss die Augen auf, und Goethe ruckte den Kopf herum. Im selben Moment klapperte etwas auf den Boden, und ein erschrockener Friedrich Justin Bertuch musste sich von allen Anwesenden angestarrt finden, den Finger der rechten Hand noch zwischen den Lippen. Seiner Linken war das emaillierte Messingdöschen entglitten, das nun zwischen seinen Schuhen rollte und kleine, violette Blüten verstreute, auf denen feine Zuckerkristalle glitzerten.
„Verzeihung“, murmelte er und nahm den Finger herunter.
„Nein, nein, nein!“, rief Leone und wandte sich erst zu Goethe, dann zur Herzoginmutter. „So kann ich meine Kunst nicht ausführen.“
Goethe lachte. „Das liegt nicht an den Umständen, sondern daran, dass es so etwas wie Hypnose oder anderen übersinnlichen Firlefanz nicht gibt.“
„Oh, Goethe!“, tadelte Fräulein von Göchhausen. „Ich bitte Sie! Verderben Sie nicht alles! Was ist nur aus Ihnen geworden? Einst beschworen Sie Spukgestalten, Teufel und Hexen und schmiedeten faustische Pakte zu Versen. Ich weiß es noch wie gestern, als ich drüben in meinen Zimmern, über den Altan hinweg, Ihren Faust abgeschrieben habe ...“
Goethe stand auf. „Liebes Fräulein! Wie kann ich mich mit jenseitigen Dingen befassen, wo das Hier und Jetzt in aller Wahrnehmbarkeit vor uns hintritt? Was in Paris geschah, vor drei Jahren, was sich seitdem ereignete, ja, was jetzt anhebt zu geschehen – wie kann man da fern der Wahrheit leben? Nein, ich sehe einen Sinn nur noch in der Wissenschaft. Das kristallene Pendel hier ...“ – er wies auf Leone, der ihn finster anschaute, was Goethe jedoch mit einem mitleidigen Blick erwiderte – „... hat mehr Wahrheit in seinem Funkeln als der sprühendste poetische Geist!“
Er hielt inne. Betretenes Schweigen quoll durch den Raum.
Goethe rieb sich die Nasenwurzel. „Verzeihung.“ Er sah sich um, streifte kurz jeden der Anwesenden mit einem entschuldigenden Blick. „Ich werde mich für eine Weile nach draußen begeben. Ein paar Schritte durch den Park gehen, frische Luft in mich saugen.“
Er schritt rasch zur Tür und drehte sich noch einmal kurz um. „Möglicherweise ist der junge Master Lewis der richtige Mann für dieses Experiment ...“
Dann machte er auf dem Absatz kehrt und verschwand. Lewis saß da und musste mit ansehen, wie sich die Köpfe der Anwesenden ihm zuwandten und ihn mit bittenden Blicken bedachten.
„Auf in Hypnos’ Arme!“, spornte Wieland ihn an.
„Ein geistiges Abenteuer – sicher mehr nach Ihrem Geschmack als die mit havarierenden Kutschen“, meinte der junge Herder.
„Trauen Sie sich doch ...“ Der Augenaufschlag Corona Schröters ließ Lewis wanken, und schließlich, als Anna Amalia ihn mit einem freundlichen: „Seien Sie nicht so ein Spielverderber wie Goethe!“ an der Ehre packte, stand er zögernd auf und drehte sich zu der Gesellschaft um.
„Wenn es denn dem Wunsch meiner Gastgeber entspricht, so will ich mich dem stellen, was auch immer mich erwarten mag.“
Die Anwesenden klatschten freudig und aufmunternd.
Lewis wandte sich Leone zu, der ihm den Platz neben sich wies. „Wirken Sie Ihre Kunst“, sagte er, und es klang nicht sonderlich fest.
Als er auf dem Stuhl saß, umfasste er seine Knie, damit niemand sah, dass ihm die Hände ein wenig zitterten. Ihm gefiel es nicht, so in der Öffentlichkeit zu stehen, aller Augen auf ihn gerichtet und nicht wissend, was ihm geschehen mochte. Konnte ein Mesmerist wirklich in die Gedanken, ja in die Seele eines Menschen eindringen? Konnte er Dinge hervorrufen, die verborgen bleiben sollten?
Lewis beschloss, sich der Hypnose zu widersetzen. Was Goethe gelungen war, müsste auch ihm glücken, und vielleicht konnte er die Enttäuschung der Anwesenden, wenn das Experiment erneut scheiterte, von sich ablenken, indem er den Mesmeristen als Amateur in seinem Fach dastehen ließ.
„Ich denke, der Herr Leone wird mit mir leichteres Spiel haben als mit Herrn von Goethe. Schließlich ist mein Geist weniger stark und genialisch als der des Geheimrats ...“
„Gewiss“, sagte jemand aus dem Halbdunkel, und Lewis glaubte, die Stimme des alten Herder erkannt zu haben.
„Ich bitte um Ruhe“, mahnte Leone und erstickte damit das aufkommende Geraune unter den Gästen.
Er hob die Hand mit dem Pendel und ließ es aus der Faust gleiten, so dass es mit einem Ruck am Ende der Kette zu einem Halt kam. Lewis
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