Der Mönch in Weimar: Ein Schauerroman nach alter Mode (German Edition)
erneut. „Meine Damen und Herren, ich bin weit gereist in Ihrem schönen Land, obgleich ich erst vor kurzer Zeit aus Italien gekommen bin. Ich durfte schon die Damen und Herren an den Höfen Münchens, Braunschweigs, Württembergs und vielen anderen unterhalten, und ich darf Ihnen versichern, dass ich mein erlauchtes Publikum stets für mich eingenommen habe ...“
Leone erzählte noch weitere Dinge zu seinem eigenen Lob und dem seines früheren, aktuellen und zukünftigen Publikums. Lewis war unaufmerksam, da ihm die Aufregungen des Tages zuzusetzen begannen. Seine Schultern schmerzten, in seinem Magen breitete sich ein Gefühl des Hungers aus, sein Kopf wurde von einer heraufziehenden Müdigkeit immer schwerer, und in seiner Brust bewegte sich etwas, das sich leicht veränderte und doch gleich blieb, je nach welcher Seite er den Kopf wandte und welches der nahen Profile er erblickte, die im warmen Schein des von Flammen verzehrten Kerzenwachses schimmerten.
Schatten tanzten über die Wände des Zimmers, als Leone verschiedene Taschenspielertricks und Zauberkunststücke vorführte, die die Anwesenden verblüfften. Die Leuchter waren von den Dienern auf dem Parkett abgestellt worden, so dass Leone von unten angeleuchtet wurde, was ihm ein noch mysteriöseres Aussehen verschaffte, als es seine Züge ohnehin schon taten. Zudem zuckten die von ihm geworfenen Schatten auch über die geisterhaft weißen Statuen nach antikem Vorbild, die in den Zimmerecken neben der Tür standen, und es schien, als habe er mit seinen Künsten nicht nur die Spielkarten und Gegenstände belebt, mit denen er so virtuos hantierte, sondern auch diese Abbilder von Göttinnen aus längst vergangenem Zeitalter. Lewis rieb sich die Augen. Als er wieder aufblickte, sah Leone ihn an.
„Nun möchte ich etwas anderes zeigen. Etwas, das weniger die Augen verblüfft als die Ohren. Dazu brauche ich die Hilfe einer Person aus diesem geneigten Kreis ...“
Lewis ließ die Hand sinken. Wie hatte er nur durch diese unbedachte Geste, die der Magier als Zeichen der Langeweile aufgefasst hatte, die Aufmerksamkeit auf sich lenken können? Lewis biss die Zähne zusammen.
Leone fuhr fort, während ein Dienstbote einen Stuhl brachte und neben ihn stellte. „Ich will Ihnen ein erstaunliches Beispiel für den Mesmerismus geben, auf dessen Anwendung ich mich meisterlich verstehe. Sind Sie bereit, sich hypnotisieren und die geheimsten Dinge aus den Tiefen Ihres Geistes heraufsteigen zu lassen, auf dass sie kundgetan werden?“
Die Anwesenden lachten verhalten. Lewis hörte einen Unterton von Nervosität heraus. Hier, wo jeder über jeden etwas zu berichten hatte, ob erfreulich oder nicht, schien ein solches Rühren an möglicherweise gut gehüteten Geheimnissen kein angenehmer Gedanke zu sein.
Ein kaum wahrnehmbares, unruhiges Rücken auf den Sitzflächen der Stühle kam auf, als Leone in die Runde blickte und damit einen Freiwilligen ermuntern wollte.
Da erhob sich Goethe zu voller Größe, zog wiederum am Revers seines Rockes und sagte mit kräftiger Stimme: „Ich werde es tun!“
Die Gesellschaft applaudierte diskret.
Leone lächelte und wies auf den Stuhl neben sich. Goethe ging hinüber und sagte mit leisem Spott: „Aber ich glaube nicht an derlei Dinge. Seien Sie darauf gefasst, dass Sie bei mir scheitern werden.“
Leones Lächeln gefror für einen Lidschlag, dann gewann es wieder die Oberhand. „Wir werden sehen“, sagte er. „Nehmen Sie Platz.“
Goethe setzte sich, mit aufrechtem Oberkörper und überheblichem Blick.
„Entspannen Sie sich“, bat Leone, worauf Goethe sich ein wenig gegen die Rückenlehne sinken ließ, seine Miene aber nicht im Geringsten veränderte. Der Mesmerist zog einen funkelnden Gegenstand aus seiner Rocktasche hervor. Es war ein geschliffener Kristall von der Größe eines Taubeneies, der in einer Fassung aus Gold an einer ebensolchen zierlichen Kette hing. Leone ließ dieses Pendel in gebührendem Abstand vor Goethes Nase hin- und herschwingen, langsam und gleichmäßig. Das Licht der Kerzen brach sich im Kristall und sandte bunte Reflexe in alle Richtungen.
„Ah, die Wirkung des Prismas“, sagte Goethe in dozierendem Tonfall. „Wussten Sie, dass ich im vergangenen Jahr einige Beiträge zur Optik verfasst habe, die ebendieses Thema behandeln? Sie wurden übrigens in Herrn Bertuchs Comptoir gedruckt und sind wohlfeil zu erstehen.“ Er lächelte und verstärkte dieses Lächeln noch, als die Anwesenden über
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