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Der Mönch in Weimar: Ein Schauerroman nach alter Mode (German Edition)

Der Mönch in Weimar: Ein Schauerroman nach alter Mode (German Edition)

Titel: Der Mönch in Weimar: Ein Schauerroman nach alter Mode (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Röder
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da schrieb, dieselben Worte waren wie jene auf dem entsetzlichen Manuskript, das aus seinem Zimmer verschwunden war.
    „Nein!“, rief Lewis, und die brennende Gestalt lachte, ergriff ihn mit ihren Krallen am Kopf und hob ihn empor. Die Mauern des Kerkers stürzten ein und enthüllten eine beklemmende Landschaft. Ringsum sah Lewis nichts als düstere Höhlen und steile Felsen, von denen einer auf den anderen getürmt war und die ihre Gipfel in den Wolken verbargen. Einige einsame Bäume standen weit voneinander entfernt, und der Wind, welcher mit Widerstand durch ihr dickes Laub drang, ließ ein eintöniges Rauschen hören, welches das heisere Geschrei der Adler, die hier nisteten, gelegentlich unterbrach. Von geschmolzenem Schnee angeschw ollene Flüsse brausten, und nachdem sie sich in Abgründe gestürzt und ihren Weg in einen langen, unermesslich tiefen See genommen hatten, brach sich in ihnen der Schein des Mondes am Fuße des Felsens, von dem aus die Gestalt mit Lewis in den Krallen emporstieg. Immer höher flog sie auf ihren Schwingen hinauf, und so unvermittelt, wie sie Lewis ergriffen hatte, ließ sie ihn niederstürzen. Lewis fiel auf die emporragende Spitze eines Felsens, wurde im Fall von Abgrund zu Abgrund gewälzt, bis er zerstoßen, zerschmettert, verstümmelt am Ufer eines Flusses liegenblieb. Doch noch hatte er sein Leben nicht ausgehaucht. Vergebens bemühte er sich aufzustehen. Seine zerbrochenen Gliedmaßen versagten ihm den Dienst, und wie angeheftet war er an den Ort, auf den er gefallen war. Die Sonne ging auf, ihre sengenden Strahlen fielen wie Blei auf das Haupt des Sterbenden. Millionen Insekten, durch die Wärme geweckt, krochen auf ihn und saugten Blut aus seinen Wunden. Er konnte sich nicht bewegen, um sie zu vertreiben. Sie fra ßen sich hinein, brachten ihm neue Wunden bei, bedeckten ihn fast, und jeder Biss war der Anfang neuer Leiden. Die Adler floge n vom Gebirge auf ihn herab, rissen sein Fleisch in Stücke und gruben ihm mit ihren krummen Schnäbeln die Augen aus. Von brennendem Durst verzehrt hörte er das Rauschen des Flusses neben sich und konnte sich doch nicht zu ihm hinschleppen. Da erhob sich ein Gewitter, die rauschenden Winde erschütterten die Felsen und stürzten die Wälder um. Am Himmel zogen blitzschwangere Wolken auf, der Regen floss in Strömen herab, ließ den Fluss anschwellen und trieb ihn aus seinen Ufern. Die Wellen gewannen den Ort, wo Lewis lag, und schleppten seinen Leichnam mit sich in den Ozean.
    Lewis erwachte durch einen milden Lufthauch, der durch das ge öffnete Fenster hereinströmte und seinen Schweiß trocknete. Verwirrt fuhr er sich mit der Hand durchs nasse Haar. Er blinzelte gegen das helle Licht, das ins Zimmer fiel, und erschrak. Ein dunkler Schatten, die Silhouette eines Mannes stand da, die Hände auf den Fensterrahmen gestützt. Lewis sog scharf die Luft ein, und dieses Geräusch ließ Goethe sich umdrehen. Er nickte Lewis zu.
    „Sie sind gewiss hungrig, nicht wahr? Es ist schon Mittag.“
    Lewis hustete und rieb sich die Augen.
    Goethe lachte. „Ich schätze, das war eine Zustimmung. Kommen Sie hinunter, wenn Sie sich angezogen haben.“ Dann verließ er die kleine Kammer und polterte auf der Stiege nach unten.
    Lewis schlug die Hände vor das Gesicht, als ihm die Traumbilder der Nacht in seine Erinnerung trieben, noch stärker als die Eindrücke des wirklichen Schreckens der Feuersbrunst. Rasch sprang er aus dem Bett und ans geöffnete Fenster, atmete tief ein.
    Hell war es draußen und freundlich. Das Fenster lag auf der Seite des kleinen Hauses, die der verbrannten Dorfmitte abgewandt war.
    Lewis sah auf einen Gemüsegarten und auf Bäume, die den Blick auf entferntere Teile der Landschaft verbargen. Das Grün der Blätter beruhigte Lewis und lenkte ihn von den Bildern der Schluchten und Schründe ab, durch die er im Traum gestürzt war. Dass dies alles nur ein Gespinst der Geschehnisse aus der Feuernacht war, wollte Lewis nicht leugnen. Doch beunruhigte ihn, auf welch scheußliche Art sich dies mit dem verschwundenen Manuskript verbunden hatte.
    Er rieb sich die Augen und musterte seine Hände. Schmutz und Asche waren zumindest oberflächlich entfernt. Auch trug er ein zerschlissenes, aber sauberes Nachthemd. Es schien, als seien die zerrenden Adlerschnäbel des Traumes helfende Hände gewesen und die Fluten der Wolkenbrüche ein Waschzuber. Lewis wandte den Kopf und sah auf einem wackligen Stuhl seine Kleidung liegen. Auch diese war

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