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Der Mönch und die Jüdin

Der Mönch und die Jüdin

Titel: Der Mönch und die Jüdin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Görden
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Allerdings vermisste er den schönen, stolz in den Himmel ragenden Kirchturm. Auf dergleichen schienen die Juden keinen Wert zu legen, und er sah auch keine Glocken. Schräg gegenüber der Synagoge stand ein im gleichen Stil erbautes, etwas kleineres Gebäude. »Ist das dort noch eine zweite Schul?«, fragte Konrad.
    »Nein, das ist unser Tanzhaus«, erklärte ihm Hannah. Sie schien sich zu freuen, dass er alles so interessiert und neugierig in sich aufnahm. »Dort feiern wir Hochzeiten und andere fröhliche Feste. Und da drüben ist unsere koschere Metzgerei und daneben die öffentliche Backstube. Vielleicht habt Ihr ja schon davon gehört, dass wir Juden bestimmte Speisevorschriften einhalten müssen.«
    Konrad nickte. Davon war im Kloster irgendwann die Rede gewesen, bei einer der seltenen Gelegenheiten, wenn überhaupt einmal über die Juden gesprochen wurde. Seither wusste er, dass ihnen der Verzehr von Schweinefleisch verboten war. Und alle Tiere mussten auf eine genau vorgeschriebene Weise geschlachtet werden, denn die Juden durften auf keinen Fall Blut zu sich nehmen. Blut galt als unrein, und deshalb durfte das Fleisch kein Blut mehr enthalten.
    »Das große, niedrige Haus auf der anderen Seite des Platzes ist unser Hospiz. Dort werden die Kranken der Gemeinde gepflegt und Reisende gastfreundlich beherbergt.«
    Dass sie ein Hospiz hatten, freute Konrad. Barmherzigkeit und Nächstenliebe waren also für die Juden keine Fremdwörter, obwohl sie nicht an das Evangelium glaubten. Mitten auf dem Platz stand ein kleines Steinhaus mit großen, fast bis zum Boden reichenden Bogenfenstern. »Unter diesem Haus befindet sich die Mikwe«, sagte Hannah.
    »Was … ist denn das?«, fragte Konrad.
    »Das Ritualbad«, erklärte ihm Hannah freundlich. »Dort nehmen wir unsere rituellen Waschungen vor. Eigentlich ist es nur ein enger Schacht mit einer Treppe darin. Unten befindet sich ein kleines Badebecken. Die Waschungen müssen in reinem Wasser erfolgen, deshalb reicht der Schacht bis hinunter zum Grundwasser.«
    »Und wann müsst Ihr die Mikwe aufsuchen?«
    »Nun, wir gehen zum Beispiel nach überstandenen Krankheiten dorthin, um zu baden. Und wir Frauen baden dort zum ersten Mal am Abend vor unserer Hochzeit. Auch wer zum Judentum übertritt, muss sich in der Mikwe reinigen. Wichtig beim Bad in der Mikwe ist, dass man wirklich ganz untertaucht.« Sie schüttelte sich und zog die Nase kraus. »Brrr! Ich selbst habe ja noch nicht rituell baden müssen, aber im Winter ist es bestimmt furchtbar kalt.«
    Konrad musste unwillkürlich lächeln. Dann fragte er sich, ob es tatsächlich Menschen gab, die freiwillig zum Judentum übertraten. Das erschien ihm nur schwer vorstellbar. Warum sollte ein Christ seine Religion aufgeben, sich von Christus, dem Erlöser, abwenden und damit sein Seelenheil opfern? Ihm wurde wieder bewusst, was ihm im Kloster jahrelang über die Heiden gepredigt worden war – dass sie im Irrtum und in Sünde lebten. Auch die Juden waren Heiden, wenn sie den Christen vielleicht auch etwas näherstanden, weil man die religiösen Schriften des Alten Testaments miteinander teilte.
    Dann fiel ihm ein, was Bernhard von Clairvaux geschrieben hatte: Dass nämlich die Juden am Jüngsten Tag, wenn der Herr zurückkehrte, um Gericht zu halten, alle bekehrt werden würden. Sie schienen also im Plan des göttlichen Heils ihren Platz zu haben. Dann, sagte sich Konrad, steht es mir hier und jetzt wohl kaum zu, schlecht über ihren Glauben zu urteilen.
    Er sah, dass Anselm und Gilbert dem alten Juden, der zwischen ihnen ging, mit großer Freundlichkeit begegneten. Die drei waren in eine angeregte Unterhaltung auf Lateinisch vertieft. Konrad hörte einen Moment zu und merkte, dass sie über Paris sprachen, in dem sie alle sich im Lauf ihres Lebens schon einmal aufgehalten hatten.
    Sie bogen von dem Platz in eine Gasse ein, und Hannah sagte: »Da vorne ist unser Haus.«
    Es war größer als die anderen Judenhäuser in der Umgebung. Eine mit Rundbögen verzierte Mauer trennte das Anwesen von der Gasse. Durch ein Tor, das groß genug für schwere Fuhrwerke war, gelangten sie in einen Hof, der mit seinen Säulengängen fast wie das Atrium eines kleinen Klosters wirkte. Geradeaus und zur Linken befand sich das im Winkel gebaute Haupthaus. Rechts stand ein niedrigeres Nebengebäude, in dem sich offenbar Josephs Kontor und sein Warenlager befanden.
    Der Hof war sehr liebevoll gestaltet, und das ganze Anwesen strahlte Harmonie und

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