Der Mönch und die Jüdin
gibt darin so vieles, was wir … was wir nicht kennen und wissen«, sagte er und fand seine Worte schrecklich unbeholfen. Hannah erschien ihm so gebildet und sprachgewandt. Bestimmt langweile ich sie, dachte er.
Doch Hannah hörte ihm aufmerksam zu und nickte. »Oh, wie recht Ihr habt! Und deshalb zieht es uns hinaus in die Ferne – weil wir lernen, wissen, verstehen wollen …«
Lernen, wissen, verstehen – Konrad fühlte sich ihr geistig sehr nahe. Ich könnte nicht einfach wieder ins Kloster zurückkehren, dachte er. So sehr ich Matthäus auch vermisse. Sogar Fulbert vermisse ich ein bisschen. Aber ich könnte keine Nacht mehr ruhig und zufrieden in meiner Klosterzelle schlafen. Immer hätte ich das Gefühl, dass die Welt draußen auf mich wartet. Matthäus mag in einem solchen Dasein Erfüllung finden, aber mir genügt es nicht mehr. Immer müsste ich daran denken, was mir alles entgeht, und der Horizont im Kloster erschiene mir klein und eng.
Gern hätte er diese Gedanken Hannah mitgeteilt, denn er hatte das Gefühl, sie würde ihn gut verstehen. Aber ihre Schönheit und die Tatsache, dass ihre Schönheit ihn so aufwühlte und durcheinanderbrachte, ließ seine Lippen so steif und unbeweglich werden, als wären sie aus Holz. Am liebsten wäre er aufgestanden und hätte hastig eine Entschuldigung gemurmelt, um dann hinaus in den stillen Obstgarten zu flüchten, dort leise zu beten und Gott zu bitten, die Verwirrung in seinem Kopf zu beseitigen.
Eine Weile aßen sie schweigend Rosinenkuchen. Dann lehnte sich Hannah zurück, sichtlich gesättigt. »Es hat mir sehr gut geschmeckt«, sagte sie seufzend. »Zu gut, fürchte ich. Ich muss achtgeben, dass ich nicht so dick werde wie meine Mutter.«
»Aber, Hannah, Ihr seid so schön, dass auch eine gewisse Beleibtheit dieser Schönheit bestimmt nichts anhaben kann.« O je! Hatte er damit jetzt wirklich etwas Nettes gesagt? Er war sich nicht sicher.
Aber Hannah schlug die Augen nieder und errötete sogar ein wenig. »Vielen Dank«, sagte sie. Erleichtert bemerkte Konrad, dass sich seine Lippen nicht mehr ganz so hölzern anfühlten. Es war ihm tatsächlich gelungen, ihr ein Kompliment zu machen! Aber stand ihm das als angehendem Mönch überhaupt zu? War er nicht eigentlich verpflichtet, gegenüber einer so reizenden jungen Dame eher eine kühle Reserviertheit zu wahren?
Anselm hatte sowohl Hannah als auch ihrer Schwester und ihrer Mutter schamlos Komplimente wegen ihres Aussehens gemacht. Das gehörte außerhalb der klösterlichen Welt offenbar zum guten Ton. Aber angesichts der peinlichen Episode im Bonner Badehaus war Anselm in dieser Hinsicht vermutlich kein moralisch einwandfreies Vorbild.
Während Konrad noch darüber nachgrübelte, wandte sich Hannah an Joseph ben Yehiel, der als Hausherr am Kopf der Tafel saß, und fragte: »Vater, erlaubt Ihr, dass ich meinem Retter Eure Bibliothek zeige?«
Konrads Herz setzte einen Moment aus und fing dann heftig zu klopfen an. Joseph ben Yehiel würde diese Frage, die Hannah mit spürbar jugendlichem Übermut in der Stimme gestellt hatte, doch bestimmt zurückweisen! Aber der alte Jude lächelte nur und sagte: »Ich sehe Euch an, dass Ihr ein Mann der Bücher seid, junger Herr Konrad. Geht nur mit meiner Tochter. Ihr werdet es nicht bereuen.«
Vielleicht lag es ja daran, dass er die unschuldige Kutte eines Mönchs trug. Vielleicht betrachtete man es deshalb nicht als unschicklich, wenn Hannah sich mit ihm allein zurückzog, so wie ja auch auf der Wolkenburg niemand Anstoß daran genommen hatte, dass er mit Brigid allein gewesen war. Nach allem, was er im Kloster über das schwierige Verhältnis des Mannes zu den Töchtern Evas gehört hatte, war er davon ausgegangen, dass diese Dinge viel strenger gehandhabt würden.
Hannah nahm einen Kerzenleuchter und lächelte einladend. »Kommt, Konrad. Ich freue mich sehr, Euch die Bibliothek zu zeigen.« Sie würde jetzt allein mit ihm dort hinaufgehen. Konrad wäre vor Schüchternheit am liebsten im Fußboden versunken, schaffte es aber irgendwie, ihr zu folgen, ohne vor Aufregung über seine Füße zu fallen. Er brachte keinen Ton heraus.
E IN O RT DER M AGIE
H annah führte Konrad die Stufen hinauf, und es fiel ihm schwer, seinen Blick von ihren vollen, sich sanft wiegenden Hüften abzuwenden. Während sie über einen Flur gingen, wirbelten Konrads Gedanken unruhig hin und her. Im Lichtschein von Hannahs Leuchter sah er Wandteppiche mit Darstellungen aus der Antike. Die
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