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Der Mönch und die Jüdin

Der Mönch und die Jüdin

Titel: Der Mönch und die Jüdin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Görden
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aus dem Weg gingen. Alle trugen sie Messer oder kurze Schwerter am Gürtel. Leiser und diesmal etwas vorsichtiger sagte Hannah: »Ich habe nicht gesehen, wer ihn geworfen hat. Aber er ist vor meinen Füßen gelandet, und da habe ich ihn aufgehoben. Das ist kein Diebstahl.«
    Godefrids Blick war kalt und stechend. »Hört ihr, wie sie versucht, sich aus der Affäre zu ziehen? Aber Juden lügen nun einmal, wenn sie den Mund aufmachen. Ich, Godefrid Hardefust, sage: Die Tochter des jüdischen Schacherers Joseph ist eine gemeine Diebin, die ehrbare Bürger bestiehlt. In den Kacks mit ihr!« Dabei grinste er noch immer, auf eine grausame, boshafte Weise.
    Hannah spürte, wie Angst in ihr hochstieg und ihr die Kehle zuschnürte; das Herz schlug ihr bis zum Hals. Der Kacks war ein Käfig, in dem Diebe und Betrüger vor dem Dom zur Schau gestellt wurden, so dass jeder, der vorbeikam, seinen Spott mit ihnen treiben und sie bespucken konnte. »In den Kacks!«, rief einer von Godefrids Begleitern nun erneut. Hannah schaute sich um. Die Passanten, die vorbeikamen, taten, als ginge sie das alles nichts an. Und weit und breit war kein erzbischöflicher Soldat zu sehen. Doch sie fragte sich, ob die Soldaten in diesem Fall überhaupt einschreiten würden. Am Morgen, vor der Tribüne, das war einfaches Volk gewesen, doch hier handelte es sich um – wenn auch offenkundig ziemlich missratene – Söhne aus mächtigen Kölner Bürgergeschlechtern. Es war jetzt klar, dass sie ihr und Joseph gezielt aufgelauert hatten. Was führten sie im Schilde?
    »Joseph ben Yehiels Tochter stiehlt nicht«, sagte Joseph mit fester Stimme. Hannah streckte den Arm aus und hielt Godefrid den Hut hin.
    Er machte einen Schritt auf sie zu, doch zu ihrem Schrecken griff er sich nicht den Hut, sondern packte sie am Unterarm und zog sie zu sich heran. Wie Löwenpranken umklammerten seine Hände Hannahs Arme. Sie schrie vor Schmerz auf.
    Hämisch sagte Godefrid zu Joseph: »Tja, du alter jüdischer Wucherer, heute ist wirklich nicht dein Tag, was? Erst erteilt dir Domherr Friedrich eine Abfuhr, weil ab jetzt mein Vater die Kanzlei mit Schreibwaren beliefert, und dann entpuppt sich deine Tochter als gemeine Diebin.«
    »Das ist eine niederträchtige Lüge«, sagte Joseph.
    Verzweifelt versuchte Hannah, sich loszureißen, aber Godefrids Griff war unbarmherzig fest. Ohne Joseph eines Blickes zu würdigen, sagte er zu seinen Kumpanen: »Los! Wir bringen sie vor die Schöffen. Dann wird sie in den Kerker geworfen, und nächste Woche hockt sie im Kacks und wird von allen anständigen Kölnern angespuckt.«
    Diebstahl wurde hart bestraft. Der Kacks war noch das Harmloseste. Manchmal schnitt man Dieben die Ohren vom Kopf oder hackte ihnen die rechte Hand ab. Und im schlimmsten Fall wurden sie draußen vor den Toren der Stadt an den Galgen gehängt, als Futter für die Krähen. Wollte Godefrid sie wirklich vor die Schöffen zerren? Schuldig oder nicht – als Jüdin würde sie dort einen schweren Stand haben. Oder bluffte er nur, um ihr und ihrem Vater Angst einzujagen?
    Josephs zuvor bleiche Wangen wurden fleckig rot. »Lasst meine Tochter los!«, stieß er hervor. »Ihr wisst genau, dass sie Euch nichts gestohlen hat!«
    Doch Godefrid packte Hannah nur noch fester. »Hol sie dir doch, alter Jude.«
    Tatsächlich stürzte sich Joseph auf ihn und versetzte ihm keuchend einen Stoß gegen die Schulter. Godefrid lachte und trat Joseph gegen das Knie. Hannahs Vater verlor das Gleichgewicht und fiel in den Straßenstaub, wo er dumpf mit dem Kopf aufschlug. Tränen der Hilflosigkeit schossen Hannah in die Augen.

D AS L EUCHTEN DER R OSE
    N ach dem kühlen Zwielicht im Inneren der Kirche mussten Konrads Augen sich erst wieder ans helle Sonnenlicht gewöhnen. Im ersten Moment erschien Konrad die junge Frau fast wie eine himmlische Erscheinung. Sie schwebte geradezu über den Platz vor dem Dom, so fließend und harmonisch bewegte sie sich. Dunkel schimmernde Locken schauten unter ihrer Haube hervor. Ein Leuchten ging von ihr aus wie von einer blühenden, duftenden Rose. Sie und ihr Begleiter, ein würdevoller älterer Herr mit weißem Bart, blieben stehen. Er sagte etwas zu ihr, etwas Nettes offenbar, denn sie lächelte, und ihr Lächeln berührte Konrad ganz seltsam. Er spürte ein sanftes Ziehen in der Brust und wollte den Blick gar nicht von ihr wenden, während er mit Anselm und Gilbert zu den Pferden ging, die sie in der Nähe des Kirchenportals angebunden hatten.
    Dann

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