Der Mönch und die Jüdin
war wirklich das Mädchen, das Ludowig damals aus dem Feuer gerettet hatte. War Ludowig dann ihr Vater? War die schöne Frau, die im Feuer gestorben war, ihre Mutter? Das Mädchen hatte die gleichen Augen wie die schöne Frau gehabt. Und je mehr Konrad darüber nachdachte, desto mehr schien es ihm, dass Brigid dieser Frau auch im Gesicht sehr ähnlich sah. Dann fiel ihm ein, dass Ludowig, jedenfalls der Ludowig, der hier auf der Burg im Keller des Bergfrieds hauste, ja der Bruder Rainalds war. Dann wäre Brigid mit dem Bruder ihres Vaters verheiratet! Undenkbar. Und wie passte er selbst in dieses Rätselbild hinein? War Brigid der Schlüssel zu seiner verlorenen Kindheit? Oder Ludowig?
Konrad fühlte sich unwohl und beklommen. Um sich abzulenken, hielt er nach Gilbert Ausschau und sah, dass der zukünftige Abt von Neuwerth nicht untätig herumstand, sondern sich ganz einfach nützlich machte, zupackte, wo gerade helfende Hände gebraucht wurden. Da schämte sich Konrad und schaute sich rasch nach einer Aufgabe um. An Arbeit herrschte wirklich kein Mangel. Dankbar nahmen die Leute, die sich um die Essensausgabe kümmerten, seine Hilfe an. Suppenkessel mussten aus der Burgküche nach oben geschleppt werden. Und bald darauf stand Konrad neben Sigismunds Frau an der Essensausgabe und füllte erschöpften Menschen, die sich vor Hunger kaum noch auf den Beinen halten konnten, warme Suppe in die Schüsseln. Diese sinnvolle Beschäftigung tat ihm gut. Er wurde innerlich ruhig und bekam wieder einen klaren Kopf.
Als ihn schließlich eine energische ältere Jüdin aufforderte, er solle sich doch endlich eine Pause gönnen, und ihn ablöste, setzte er sich hinter den Suppenkesseln ins Gras, um etwas Ruhe zu finden. Da bemerkte er Nathan ben Yehiel, der nur wenige Schritte von ihm entfernt stand und nachdenklich zu ihm hinüberschaute. Und schon setzte sich Hannahs Onkel zielstrebig in Bewegung und kam auf ihn zu. Konrad stand auf und bereitete sich innerlich darauf vor, eine Tracht Prügel verabreicht zu bekommen. Aber diesmal war er besser vorbereitet, als in der vorletzten Nacht. Er spannte sich kampfbereit an. Ich muss lernen, mich besser zu verteidigen, dachte er. Ich werde Brigid oder Anselm bitten, mir Unterricht zu geben.
Doch Nathan sagte: »Herr Konrad! Wenn ich richtig informiert bin, verdanken wir es Euch, dass uns die Wolkenburg als Zufluchtsort zur Verfügung gestellt wurde.«
»Das verdankt Ihr in erster Linie dem Herrn Erzbischof und Anselm von Berg. Ich habe dazu nur einen sehr bescheidenen Beitrag geleistet«, sagte Konrad schroff. Wenn Hannah ihren Onkel nicht mochte, dann mochte Konrad ihn auch nicht.
»Dennoch sind wir Euch zu Dank verpflichtet. Ich bedaure sehr, dass mein Sohn sich Euch gegenüber, nun ja, sehr ungehörig benommen hat. Er ist ein arger Hitzkopf. Wisst Ihr, ich hatte gehofft, dass ich bald einmal Gelegenheit zu einem persönlichen Gespräch mit Euch haben würde.«
Die unerwartete Höflichkeit Nathans brachte Konrad ziemlich aus dem Konzept. »Nun, durch die entsetzlichen Dinge, die in Köln geschehen sind …«
»Mein Bruder hätte mit uns kommen sollen. Warum musste er unbedingt bei seiner Bibliothek bleiben? Aber er ist schon immer furchtbar eigensinnig gewesen. Nun bin ich für das Wohl seiner Töchter verantwortlich. Und glaubt mir, ich nehme diese Verantwortung sehr ernst. Ich würde mit Euch gerne einmal in Ruhe über Hannah sprechen. Natürlich nur, wenn es Euch recht ist?«
Konrad nickte widerstrebend. Nathan klopfte ihm auf die Schulter. »Kommt, suchen wir uns einen Ort, wo wir ungestört sind.«
Sie zogen sich in eine Mauernische zurück. »Wisst Ihr«, sagte Nathan. »Es kommt gar nicht so selten vor, dass ein Christ sich in eine Jüdin verliebt, oder ein Jude in eine Christin. Solche Dinge geschehen eben, was will man machen? Wichtig ist aber, in Liebesdingen einen kühlen Kopf zu bewahren. Man muss in Ruhe überlegen, was die beste Lösung für alle Beteiligten ist. Glaubt mir, ich bin ein Mann, der Erfahrung in diesen Dingen hat, und ich sage Euch: Die Liebe ist eine unsichere Sache, unbeständig wie das Wetter. Darauf sollte ein kluger Mann nicht seine Zukunft bauen.«
Konrad hörte, was Nathan sagte, und sah gleichzeitig vor seinem inneren Auge, wie Nathans Sohn Hannah brutal ins Gesicht geschlagen hatte.
»Habt Ihr denn schon einmal überlegt, was wirklich das Beste für Hannah ist, Herr Konrad?«
Hatte Konrad überhaupt schon viel überlegt? Alles, was mit
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