Der Mönch und die Jüdin
Geld, und er besaß nicht eine einzige Münze. Ob Hannah etwas Geld bei sich hatte? Viel würde es nicht sein, denn sie waren ja sehr überstürzt aus Köln aufgebrochen.
Dann fiel ihm ein, dass sie vielleicht gar nicht reiten konnte. Wo hätte sie es in der Stadt auch lernen sollen? Sie waren beide wirklich schlecht dafür gerüstet, einfach hinaus in die Welt zu reiten! Hannah war behütet im Haus ihres reichen Vaters aufgewachsen, und er ebenso behütet im Kloster. Er musste an den Überfall der Straßenräuber auf dem Weg von Neuwerth zur Wolkenburg denken. Wie sollte er Hannah in einer solchen Situation beschützen? Er war wirklich ein Schwächling! Warum konnte er nicht sein wie Anselm oder Rainald von Falkenstein?
Und doch: Er würde auf keinen Fall klein beigeben. Da war eine feste Entschlossenheit in ihm, eine ganz ungeahnte Kraft. Die hatte Hannah in ihm geweckt. Bestimmt war das die Kraft der Liebe.
Konrad blickte hinauf zu dem schwindelerregend hohen Bergfried, um den die Dohlen kreisten, als ginge sie das Treiben hier unten nichts an. Dort oben hatte Konrad den weiten, grenzenlosen Blick genossen und sich herrlich frei gefühlt. Und dort oben würde er jetzt nachdenken und Pläne schmieden.
Er stieg die Treppe hoch, die zu der kleinen heruntergelassenen Zugbrücke vor der Tür des Bergfrieds führte. Als er dort stand, drehte er sich um und schaute auf das Treiben im Burghof hinunter. Dort bemühten sich jene Menschen, für die in den Ställen und anderen Gebäuden kein Platz mehr war, sich und ihren Kindern ein einigermaßen geschütztes Nachtlager herzurichten – unter Mauervorsprüngen, Vordächern und Wehrgängen, die es in einer solchen Burg zum Glück reichlich gab.
Er sah Brigid, die gerade ein weinendes Kind untersuchte und seiner Mutter ein paar Kräuter in die Hand drückte. Brigid blickte auf, lächelte und winkte ihm zu. War sie das Mädchen aus dem Feuer? Er würde sie fragen, sobald dazu Gelegenheit war.
Konrad blickte auf die Stufen, die nach oben führten, und die Stufen, die hinab in den dunklen Keller gingen. Dort unten hauste jemand, der mit Sicherheit wusste, was damals geschehen war und welche Rolle Konrad dabei gespielt hatte. War er selbst nur unbeteiligter Zeuge gewesen, oder gab es eine Verbindung zu der Frau und dem Mädchen, und zu Ludowig?
Er zögerte. Mit aller Macht zog es ihn in den Keller, als würden rätselhafte Fäden ihn untrennbar mit dem Geheimnis dort unten verbinden. Er glaubte auch nicht, dass er noch einmal Angst vor Ludowig haben würde. Schrecklicher als das, was Konrad in Köln mitangesehen hatte, konnte der Anblick von Ludowigs Brandnarben auch nicht sein. Daran, dass der Ludowig im Keller mit dem Ludowig aus seiner Erinnerung identisch war, zweifelte Konrad nicht mehr. Warum hätte er Konrad sonst wiedererkennen sollen? Denn Ludowigs nächtlicher Besuch an Konrads Bett war kein Traum gewesen, da war Konrad sicher.
Doch seine größte Sorge galt im Moment Hannah. Also folgte er dem Weg aufwärts, um hoch oben auf dem Bergfried in Ruhe nachzudenken.
H OCH ÜBER DER W ELT
N atürlich hatten sich die einflussreichsten Familien die besten Quartiere in der Burg gesichert. Das waren die ehemaligen Soldaten-Schlafräume über den leeren Pferdeställen. Auch die Ställe selbst und einige ungenutzte Vorratslager waren noch ganz angenehm. Doch die ärmsten Familien mussten sich draußen im Burghof notdürftig einrichten. Nathan hatte Ruth, Rebekka und Hannah ein winziges Zimmer oben in den Soldatenunterkünften zugewiesen, gleich nebenan bezogen Benjamin und David mit ihren Frauen und kleinen Kindern Quartier, und gegenüber schlief Nathan mit seiner Frau. »Wie lange werden wir hierbleiben?«, hatte Hannah ihn gefragt. »Der Marschall rechnet mit sechs Wochen. Dann werden die Kölner wohl wieder zur Vernunft gekommen sein«, lautete die mürrische, kurz angebundene Antwort. Sie konnte gar nicht in Worte fassen, wie unendlich sie ihren Vater vermisste!
Jetzt lag Hannah auf einem muffigen Strohsack. Auf zwei anderen Strohsäcken schliefen Ruth und Rebekka, vollkommen erschöpft. Leise stand sie auf und schaute aus dem winzigen Fenster. Es war später Nachmittag, die Sonne stand schon tief im Westen. Sie entdeckte Nathan auf der anderen Seite des Burghofs, wo er mit den Gemeindeältesten palaverte, ohne selbst einen Finger krummzumachen. Er hatte ihnen streng verboten, nach draußen zu gehen, und Benjamin hatte ihnen Prügel angedroht, falls sie das Verbot
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