Der Mönch und die Jüdin
fest. Ein anderer stellte sich zwischen ihn und Konrad. Es war der Rabbiner. »Bist du von allen guten Geistern verlassen«, fuhr er Benjamin an, »dich mit einem Freund des Marschalls anzulegen?«
Das Buch lag im Gras, und das Mondlicht schimmerte auf dem glatten Ledereinband. Der Rabbiner hob es auf und gab es Konrad zurück. »Verzeiht, aber ich fürchte, bei uns liegen die Nerven blank.« Die Männer bildeten einen Halbkreis, der Konrad von Benjamin trennte, und von Hannah, die schluchzend beim Wagen stand. Ihre Schwester war aufgesprungen und hatte den Arm um Hannahs Schultern gelegt.
Der Rabbiner sagte in bemüht freundlichem Tonfall: »Ich denke, es ist für alle das Beste, wenn Ihr jetzt wieder zum erzbischöflichen Lager zurückgeht, Herr Konrad.«
Konrad zögerte. Am liebsten hätte er Hannah mitgenommen, damit sie vor Benjamin und ihrem Onkel in Sicherheit war. Aber das würden diese Männer nicht zulassen. Und wenn er darauf bestand, dass sie mitkam, sich aber nicht durchsetzen konnte und unverrichteter Dinge abziehen musste, würde sie es ausbaden müssen. Er war sicher, dass sie dann noch mehr Schläge bekam.
Aber er konnte nicht einfach wortlos verschwinden, ohne irgendein Signal, dass er sie liebte – ja, er liebte sie! – und sie nicht im Stich lassen würde.
»Hannah, ich … bewahre das Buch für dich auf.« Etwas anderes fiel ihm nicht ein. Wütend und traurig zugleich, wandte er sich ab und ging rasch davon.
***
Während des ganzen folgenden Tages ergab sich für Konrad keine Gelegenheit, mit Hannah zu sprechen. Sie saß mit ihrer Mutter und Rebekka auf dem Frachtwagen, dicht umringt von den anderen Frauen, vermutlich die Ehefrauen von Nathan und seinen Söhnen. Und in dem dichten Gedränge des jüdischen Zugs hatte er keine Möglichkeit, näher an den Wagen heranzukommen. So ritt er neben Anselm und Gilbert an der Spitze des Zuges. Anselm hatte einen Boten zur Wolkenburg vorausgeschickt, mit der Anweisung an Rainald von Falkenstein, die Burg für die Aufnahme der Juden vorzubereiten und aus den umliegenden Dörfern so viel Proviant wie möglich zu beschaffen. Wenn sie erneut bis spät in die Nacht marschierten, würden sie am frühen Nachmittag des folgenden Tages auf der Burg eintreffen.
Es war schon weit nach Mitternacht, als Anselm den erschöpften Menschen und den Zugtieren eine Pause gönnte. Konrad ging noch eine Zeitlang im Lager auf und ab, denn seine Glieder schmerzten höllisch von dem stundenlangen Ritt, so dass er sich nicht sofort zu Gilbert und Anselm ans Feuer setzen mochte. Die Versuchung, sich an Nathans Frachtwagen heranzupirschen, um irgendwie Kontakt zu Hannah aufzunehmen, war fast unerträglich. Aber er fürchtete, dass dies nur wieder mit neuen Problemen für Hannah enden würde. Schweren Herzens beschloss er, die Kontaktaufnahme zu verschieben, bis sie sich in der Wolkenburg befanden. Vielleicht ergab sich dort eine Möglichkeit, dass sie sich heimlich treffen konnten.
Mit bekümmertem Gesicht setzte er sich schließlich zu Gilbert ans Feuer. Anselm war mit einigen Rittern in ein Gespräch vertieft. »Was bedrückt dich?«, fragte Gilbert freundlich. Als Konrad nicht sofort antwortete, lächelte er. »Es geht um die schöne Jüdin, die dein Herz erobert hat, nicht wahr?«
Konrad spürte, wie seine Wangen heiß wurden. »Du weißt davon, dass ich …«
»Dass du dich über beide Ohren in Hannah verliebt hast? Nun, ich habe schließlich Augen im Kopf.«
»Ich dachte, nur Anselm wäre im Bilde.«
»Es ist dir zum ersten Mal passiert, dass du dich in eine Frau verliebt hast?«, fragte Gilbert.
Konrad nickte. »Ja. Im Kloster war dazu ja auch wirklich keine Gelegenheit.«
»Es ist wichtig, dass du lernst, zwischen Verliebtheit und wirklicher Liebe zu unterscheiden. Es gibt viele schöne Frauen auf dieser Welt. Wenn wir uns allein von ihren äußeren Reizen verführen lassen, benehmen wir Männer uns wie Schmetterlinge, die unstet von Blüte zu Blüte flattern. Solche oberflächliche Verliebtheit wird schnell langweilig. Dann taumeln wir weiter zur nächsten Blüte. Wahre Liebe begnügt sich nicht mit der Oberfläche, sondern entspringt ganz tief in unserem Herzen. Sie kann ein ganzes Leben dauern.«
»Natürlich finde ich Hannah äußerlich sehr schön«, sagte Konrad. »Aber was ich für sie empfinde, ist viel mehr als das. Es fühlt sich an, als … als wäre sie ein Teil von mir und ich ein Teil von ihr.«
»Nun, Konrad«, sagte Gilbert, »wenn du dir
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