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Der Mönch und die Jüdin

Der Mönch und die Jüdin

Titel: Der Mönch und die Jüdin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Görden
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missachteten. Hannah befühlte ihre schmerzende, geschwollene Lippe. Benjamin und sein Bruder wachten über die ›gerechte‹ Verteilung der Lebensmittelvorräte, wobei sie natürlich darauf achteten, dass die führenden Familien den Löwenanteil erhielten.
    Jedenfalls schienen alle drei Männer sehr beschäftigt. Hannah hielt sehnsüchtig nach Konrad Ausschau, konnte ihn aber nirgendwo entdecken. Doch sie sah die junge Burgherrin, von der er so herzlich begrüßt worden war. Sie verstand offenbar etwas von Krankenheilung, denn sie kümmerte sich in einem behelfsmäßigen Hospital um Hilfsbedürftige. Hannah sah, dass die Chancen gut standen, unbemerkt zur Burgherrin zu schleichen, ohne von den Männern gesehen zu werden. Wenn ich Konrad nur für einen kurzen Moment sehen und umarmen könnte!, dachte sie. Dafür will ich eine Tracht Prügel in Kauf nehmen.
    Leise schlich sie aus dem Zimmer und die außen am Gebäude angebrachte Treppe hinunter. Sie blickte über den Hof und eilte dann hinüber zu dem Krankenlager, das in einem großen, zu einer Seite hin offenen Schuppen eingerichtet worden war. »Verzeiht«, sprach Hannah die Burgherrin an, »wie ist Euer Name?« Die junge Frau lächelte sehr warmherzig und freundlich. »Brigid«, antwortete sie.
    »Ich bin Hannah. Habt Ihr zufällig den jungen Herrn Konrad gesehen?«
    Brigid zeigte zu dem mächtig aufragenden Bergfried. »Er ist dort oben, Hannah. Geht einfach in den Turm hinein und dann die Treppe hoch.«
    Hannah bedankte sich und eilte die Stufen hinauf und über die Zugbrücke. Drinnen in dem kühlen, düsteren Turm atmete sie erleichtert auf. Nun konnten Nathan und seine Söhne sie erst einmal nicht mehr entdecken. Die Aussicht von ganz oben war bestimmt fantastisch. Aber würde sie jemals wieder in der Lage sein, ein Erlebnis wie den Aufenthalt auf einer solchen Burg als unbeschwertes Abenteuer zu genießen?
    Die Treppe schien gar kein Ende nehmen zu wollen. Als die Steinstufen endlich aufhörten, dachte sie schon, sie hätte es geschafft, aber nun befand sie sich in einem hohen, von kleinen Fenstern erhellten Raum, in dem Tauben nisteten. Hier führte eine hölzerne Stiege hinauf zur Decke. Auch dieses letzte Hindernis überwand sie, erst dann stand sie keuchend und mit klopfendem Herzen hoch über dem weiten Land mit seinem silbrig glänzenden Fluss.
    An der Westseite der Brüstung stand ein Wachtposten und spähte ins Rheintal. Er drehte nur kurz den Kopf und deutete eine Verbeugung an. Sie entdeckte Konrad gegenüber, auf einer in die Brüstungsmauer eingelassenen Steinbank sitzend, das Gesicht nach Osten gewandt. Er wirkte ernst, in Gedanken versunken.
    Für einen Augenblick befiel Hannah eine sonderbare Scheu, ihn anzusprechen. War vielleicht doch alles nur ein Traum, eine vorübergehende Schwärmerei? Oder war er jetzt, nach all dem Schrecklichen, was er in den letzten Tagen erleben musste, völlig enttäuscht von der Welt, so dass er sich wieder in sein kleines Kloster zurückziehen würde?
    Ihr Herz klopfte noch heftiger, und ihre Knie fühlten sich an, als könnten sie jeden Moment nachgeben. Leise und behutsam näherte sie sich. »Konrad …«
    Er drehte überrascht den Kopf. Und jetzt strahlte er über das ganze Gesicht. »Oh, Hannah!« Er sprang auf, und sie sanken sich in die Arme. Eine Zeitlang standen sie eng umschlungen da und wollten sich gar nicht wieder loslassen. Dann sagte Konrad besorgt: »Deine Lippe … das war Benjamins Schlag, nicht wahr?«
    Sie nickte.
    »Was ist, wenn er erfährt, dass du mich hier oben getroffen hast?«
    »Er wird es nicht erfahren, wenn wir vorsichtig sind.« Jedenfalls hoffte sie das. »Wir müssen uns nur von der Nordseite des Turms fernhalten, damit man uns vom Burghof aus nicht sehen kann.«
    »Wie hast du mich gefunden?«
    »Ich habe Brigid, die Burgherrin, gefragt.«
    »Ist diese Aussicht nicht wunderbar?« Er nahm sie bei der Hand, und sie schlenderten gemeinsam ein Stück an der Brüstung entlang. Für einen Moment vergaß Hannah alle Sorgen. Wieder umarmten sie sich, standen dicht beieinander und ließen den Blick in die Ferne schweifen. Im Nordwesten, jenseits des silbrig schimmernden Rheins, lag die Eifel im frühabendlichen Dunst. Irgendwo hinter diesen Hügeln befand sich der große, weite Ozean, auf dem die Koggen in die Welt hinaussegelten. Im Süden, wenn man dem Rheinlauf immer weiter aufwärts folgte, kam man irgendwann zu den gewaltigen, schneebedeckten Alpen, hinter denen Italien lag, und das

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