Der Mönch und die Jüdin
Marktflecken, der von Bauern und Fischern bewohnt war. Neugierige Kinder liefen den sechs Reitern lachend hinterher. Anselms Stimmung verschlechterte sich, sobald sie in den kleinen Ort kamen. Sein Gesicht wurde finster und verschlossen. Er senkte den Blick, als könne er die Umgebung nicht ertragen. »Ein düsterer Ort«, sagte er leise zu Konrad, der schweigend neben ihm herritt.
Das kam Konrad seltsam vor, wie schon Anselms Reaktion beim Frühstück, als Rainald vorgeschlagen hatte, dass sie den Weg über Vineberg nehmen sollten. Es war ein heller, sonniger Morgen, und die spielenden Kinder und kläffenden Hunde wirkten genauso wie in Neuwerth und den Dörfern, durch die sie auf der Reise zur Wolkenburg gekommen waren. Vineberg wirkte sogar recht wohlhabend, mit großen, gepflegten Häusern, was gewiss auf die guten Erträge der Fischer und die fruchtbaren Äcker und Wiesen ringsum zurückzuführen war.
Und doch – tatsächlich, da war irgendetwas, ein dunkles Gefühl in ihm, ganz ähnlich wie vor zwei Tagen, als er die Wolkenburg von weitem gesehen hatte. Diese Häuser. Der Name. Vineberg. Er hatte das Gefühl, dass es in seinem Kopf brannte, dass in seinem Inneren Flammen züngelten. Er stöhnte leise auf, und für einen Moment war da eine Beklemmung, die ihm den Atem raubte wie Rauch, der beißend in Mund und Nase drang. Doch es gelang ihm, das Gefühl abzuschütteln und sich wieder in die Gewalt zu bekommen, wie ihm das stets auch am Morgen gelang, wenn ihn nachts die schrecklichen Bilder gepeinigt hatten. Er hatte gelernt, damit zu leben.
Er merkte, dass Anselm ihn aufmerksam betrachtete. »Alles in Ordnung?«, fragte er.
»Ja«, sagte Konrad rasch. »Es ist nichts.«
Einen Augenblick lang hatte er das Gefühl, dass der Mönchsritter ihm etwas sagen wollte, doch dann wandte Anselm sich ab und ritt ein Stück voraus. Konrad hätte gerne gewusst, warum Anselm Vineberg für einen düsteren Ort hielt, hatte aber das unbestimmte Gefühl, dass es besser war, dieses Thema nicht anzusprechen.
Gilbert ritt nun neben Konrad und lächelte ihm aufmunternd zu. »Oft hilft ein Gebet, wenn uns dunkle Ängste zu schaffen machen, Konrad. Ich weiß zwar nicht, was Euch so beschäftigt, aber generell ängstigen wir Mensch uns viel zu oft, ohne dass es dafür einen wirklichen Grund gibt. Durch Beten öffnet Ihr Euch für die Liebe Gottes, dann verschwindet die Angst.« Konrad spürte, dass Gilbert es gut meinte und ihm helfen wollte, aber er hatte Gott schon so oft gebeten, ihn von den Alpträumen zu erlösen, ohne dass es etwas bewirkt hätte. Inzwischen glaubte er nicht mehr daran, dass Gebete dagegen irgendetwas ausrichten konnten.
Am Ufer des großen Flusses saßen sie ab. Konrad hatte den Rhein schon immer unheimlich gefunden. Gerade im Frühjahr, nach der Schneeschmelze, waren seine Wassermassen von düster gurgelnder, wirbelnder Kraft. Wie viele andere Klosterleute auch konnte Konrad nicht schwimmen. Noch nie hatte er dieses breite, gefährliche Gewässer überquert, und die Fähre von Vineberg war zu seinem Schrecken nicht viel größer als ein Kahn, der maximal vier Pferde und ihre Reiter zu befördern vermochte.
Gilbert dankte Wolfram und seinen beiden Männern für die Begleitung. Wolfram wünschte ihnen eine gute Reise, und kurze Zeit später standen Konrad, Gilbert und Anselm allein am Fluss. Aus einem kleinen, strohgedeckten Häuschen nahebei kam der Fährmann, ein krummbeiniger, untersetzter Mensch. In schroffem, gereiztem Tonfall sagte Anselm zu ihm: »Los, wir wollen übersetzen! Beeile dich, wir haben nicht den ganzen Tag Zeit!«
Dieser erwiderte: »Die Strömung ist stark, Herr, denn um diese Jahreszeit führt der Fluss viel Wasser. Aber wenn Ihr es trotzdem wagen wollt, will ich sofort die Ruderer zusammenrufen.«
»Was redest du da? Ich habe doch schon gesagt, dass wir übersetzen wollen! Also los, hol deine Leute!« Anselm hörte sich an, als wollte er gleich sein Schwert ziehen und auf den Fährmann eindreschen. Was war nur mit ihm los? Konrad tat der krummbeinige Mann fast ein wenig leid.
Nun geschah etwas Seltsames: Der Fährmann betrachtete Anselm genauer, stutzte – und wurde kreidebleich. »Ihr …« , stammelte er. Er rang spürbar um Fassung und verbeugte sich dann mehrmals unterwürfig. »Ja, Herr, selbstverständlich, Herr. Es dauert nicht lange.« Er eilte davon. Was immer hier in Vineberg früher einmal geschehen sein mochte, der Fährmann schien Anselm in keiner guten Erinnerung zu
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