Der Mörder aus dem Schauerwald
vergeben. Ja, sie hat Ihnen vergeben. Verdienen Sie das? Auch ich — darum
bat mich Christine in ihrer letzten Stunde — soll Sie nicht länger hassen.“
„Was bedeutet das für Sie?“ Tim
flüsterte.
„Sie wollen nicht ins Gefängnis zurück?“
„Natürlich nicht. Es ist nicht sehr
komfortabel dort. Die Matratzen sind hart und die Bettdecken dünn.“
„Sie wollen also nicht zurück. Hm. Dann
helfe ich Ihnen.“
„Wie wollen Sie mir helfen?“
„Wenn Sie ins Ausland fliehen und dort
untertauchen, brauchen Sie Hilfe. Allein schaffen Sie das nicht.“
„Da ist was dran“, bestätigte Tim.
„Ich bringe Geld mit — und was Sie
sonst noch brauchen. Wann und wo treffen wir uns?“
So einfach geht das nicht, dachte Tim.
Erst muß ich mal gesund werden. Bin erkältet, vergrippt und vom Fieber
geschüttelt.
„Im Moment ist das nicht möglich“,
erklärte er. „Ich bin in einem Versteck, aus dem ich nicht weg kann, ohne
Gefahr zu laufen, daß man mich entdeckt.“
„Ich komme zu Ihnen.“
„Nein, danke, Röder. Ich warte ab.
Sobald hier die Luft rein ist, rufe ich abermals an. Dann sage ich Ihnen, wo
wir uns treffen.“
Er legte auf.
Gaby pustete gegen ihren winterlangen
Goldpony und weitete dann die Blauaugen im stummen Erstaunen.
„Wie der säuselt! Helfen will er, Geld
bringt er. Und was du sonst noch so brauchst, Herr Flühter.“
Durch die Zähne sagte Tim: „Würde Röder
das anbieten, wenn er von Flühters Schuld überzeugt wäre?“
Sie traten ins Freie.
Klößchen fror, hatte Hunger und sah
schon ganz elend aus. Karl blickte erwartungsvoll.
Tim berichtete und fügte hinzu: „Jetzt
will ich mir mal ansehen, wie sich Röder verhält. Reibt er sich die Hände? Oder
dreht er durch? Ist er niedergeschlagen, oder triumphiert er? Ich schleiche in
Röders Garten und äuge durchs Fenster.“
„Ich komme mit“, sagte Karl.
Seine Freundin wollte Tim nicht
dabeihaben — aus Gründen der Sicherheit.
Klößchen hatte keine Lust.
Außerdem knurrte sein Magen so laut — das
hätte die Spione verraten.
15. Das alte Coupé
Wo war das Luftbild?
Röder wischte sich über die Stirn.
Angstschweiß trat aus den Poren.
Wo? Wo?
Der Witwer entsann sich: Mit schwarzem
Filzstift hatte er auf dem Foto die Terrassentür umrandet.
Nein, nicht die Tür, sondern die
Gestalt, die von dort — halb im Schatten stehend — ins Freie spähte: Ottmar
Selbig.
Wenn das Foto in falsche Hände gerät,
dachte Röder, bin ich geliefert. Dann hilft keine Ausrede, nichts. Dann stecken
sie mich hinter Gitter, und meine Rache an Selbig kann ich vergessen.
Er atmete schwer.
Wie düster das Licht hier war!
In diesem Moment klingelte das Telefon.
Röder meldete sich.
Und als der andere auf seine Frage
antwortete: „Sie wissen, wer ich bin!“ — da fuhr ihm der Schreck wie ein
Stromstoß in die Knochen.
Doch Flühter drohte nicht.
Geradezu manierlich benahm er sich, das
Gespräch verlief viel friedlicher, als Röder sich je ausgemalt hätte.
„...sage ich Ihnen, wo wir uns treffen.“
Peng! Flühter legte auf.
Röder starrte den Hörer an, überlegte,
verzog den Mund unter dem Bart und war zufrieden mit sich.
Flühter glaubte ihm.
Prächtig!
Du wirst wieder anrufen, dachte Röder.
Wir verabreden uns. Ich komme. Aber vorher verständige ich die Polizei. Dann
sehe ich zu, wie sie dich festnehmen. Und zurück mit dir in den Knast! Tut mir
leid, Flühter! Anders kann ich nicht handeln. Du bist unschuldig. Du und ich — wir
wissen das. Aber wenn ich dir helfe, würde ich dich rechtfertigen. Irgendwann
schnappen sie dich doch. Dann käme raus, daß ich dein Fluchthelfer bin. Und wie
sähe das aus? Man würde meine Aussage von damals bezweifeln — und gegen mich
ermitteln. Tut mir leid, Flühter! Das Hemd ist mir näher als der Rock.
Röder schob die Gedanken an Flühter
beiseite.
Jetzt ging es um was anderes!
Um die Vorbereitungen zu Selbigs Tod.
In der Garage stand immer noch
Christines Wagen, ein nunmehr 12 Jahre altes Fiat-Coupé.
Selbstverständlich war es abgemeldet.
Niemand außer Röder wußte, daß der Wagen noch existierte.
Ihn zu verschrotten — das hatte der
Witwer nicht über sich gebracht.
Aus Gefühlsduselei. Wegen der
Erinnerung an seine Frau.
Christine war so gern mit dem Wagen
gefahren, hatte ihn gepflegt, die Sitze mit dem Staubsauger gesäubert.
Mit ihrem Fahrzeug, dachte Röder, werde
ich dich töten, Selbig. Wenn du auf dem Weg bist vom Gefängnis
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