Der Mörder aus dem Schauerwald
Waden
zurück und machte sich klein wie ein Zwergpinscher.
Nur noch fünf Schritte trennten den
Mastiff von seinen Opfern.
Wenn ich schreie, schoß es Gaby durch
den Kopf, stürzt Tim herbei. Auch er wird dann zerrissen. Denn mit bloßen
Händen kann er nichts ausrichten gegen dieses löwengroße Vieh. Nein, ich werde
nicht schreien. Adieu, schöne Welt!
Mastiffs besitzen eine mittellange Rute (Schwanz), die bis zum Sprunggelenk reicht, an der Wurzel breit ansetzt
und zum Ende hin feiner wird. In der Ruhestellung hängt die Rute herunter. Wenn
der Mastiff aufmerkt, bildet der Hundeschwanz eine nach oben gerichtete Kurve.
Wedeln kann der Mastiff mit seiner Rute
natürlich auch.
Gaby traute ihren Augen nicht.
Der Riesenhund hatte die Rute erhoben
und wedelte voller Freude, daß sich die Schneeflocken hinter ihm wie Bohnen in
der elektrischen Kaffeemühle fühlten.
Er wedelte und wedelte, tappte heran,
das dunkle — dem Boxerhund nicht unähnliche — Gesicht in freundliche Falten
zerlegt.
Der Mastiff schnaufte vor Glück,
brummte bärig, lehnte die Flanke an Gaby und erreichte mit dem Kopf fast ihre
Schulter.
Das Interesse galt Oskar.
Zero beschnüffelte ihn.
Dann schlappte seine waschlappen-große
Zunge über Oskars Nase. Freundlichst wurden auch Schnauze, Ohren und Augen
einbezogen.
Zero hatte einen Freund gefunden, den
er liebte.
„Braver Zero!“ brachte Gaby mit
zitternder Stimme hervor. Er sah sie an aus dunklen, ernsten Augen.
Sie hielt ihm die Hand hin.
Er schnupperte. Find seine Sympathie
kannte keine Grenzen.
Gabys Hand wurde geleckt.
Als sich die Kommissars-Tochter etwas
bückte, schlabberte ihr Zero quer übers Gesicht.
„Bist du ein lieber Hund!“
Ihre Erleichterung war unbeschreiblich.
„Sitz, Zero!“
Und tatsächlich, er setzte sich.
„Gib die Pfote, Zero. Bei mir machen
das alle Hunde. Daher habe ich meinen Spitznamen.“
Zero schien zu überlegen. Er entschied
sich für die dunkle Pfote, die rechte.
Gaby hielt sie einen Moment fest und
bestaunte das Format.
Oskar wurde kess, sprang auf, hin und
her, forderte Zero zum Spielen auf, stieß ihm die Pfote an die Brust.
Doch erst wollte der Mastiff gekrault
werden.
Dankbar sah er Gaby an, als sie seinen
Kopf in beide Hände nahm.
Oskar gab keine Ruhe.
Beide tollten dann im Schnee, und der
mächtige Hund zeigte eine erstaunliche Behendigkeit.
Unfaßlich! dachte Gaby. Ein lammfrommer
Bär. Aber gestern im Schauer-Wald war er eine Bestie. Es ist derselbe Hund. Ich
erkenne Zero. Was hat dieser Jokel mit ihm gemacht?
Oskar und Zero spielten lange.
Bevor sich der Mastiff dann
verabschiedete, holte er sich bei Gaby nochmals seine Streicheleinheiten ab.
„Am liebsten würden ich und Oskar dich
mitnehmen“, flüsterte sie ihm ins Ohr. „Aber leider ist unsere Wohnung zu
klein.“
21. Gefangen im Hundezwinger
Jetzt hatte Tim das Fenster erreicht.
Langsam schob er den Kopf vor.
Mit einem Auge, dem rechten, konnte der
TKKG-Anführer hineinsehen. Heh, was war das?
Verblüfft riß er die Augen auf, also
auch das linke.
Der Raum, zu dem beide Fenster
gehörten, war ein Chemielabor.
Auf Tischen, in Regalen und offenen
Schränken standen oder lagen Laborgeräte in Fülle wie: Scheidtsche Kugel,
U-Rohr, Tropftrichter, Schlangenkühler, Spritzflasche, Reibschale, Pistill,
Nutsche, Fritte, Retorte, Unterdruckmanometer, Analysenwaage, Mischzylinder,
Filtrierflasche, Reagenzgläser, Esikkator, Kippscher Apparat und und und...
Tim kannte die meisten Geräte aus dem
Chemie-Unterricht.
Aber der Typ, der dort im weißen Kittel
vor einem Arbeitstisch saß, sah nicht wie ein Chemielehrer aus.
Er mochte um die 40 sein und wirkte
blutleer wie ein Schneemann. Spitze Ohren begleiteten den hageren Schädel vom
Kinnwinkel bis in Höhe der Schläfen. Das dünne Haar war zerzaust. Aus dem
Gesicht hing die Nase wie ein Rüssel.
Tim sah das linke Profil, sah auch die
wasserblauen Augen.
Plötzlich blickten die zum Fenster,
ohne daß sich der Kopf bewegte.
Tim zuckte zurück und stieß dabei Karl
an.
„Er hat mich gesehen. Verdammt! Was
jetzt?“
„Wer?“ wisperte Karl. „Jockel?“
„Ich nehme an, daß er’s ist.“
„Typischer Mastiff-Halter?“
„Eher typisch für eine dreibeinige
Ratte.“
„Aber Chemiker, ja?“
„Und wie! Starkes Labor hinter den
Fenstern. Er macht gerade was mit dem Destillierkolben.“
„Was?“ grunzte Klößchen.
„Woher soll ich das wissen. Schokolade
jedenfalls nicht.“
Abermals äugte
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