Der Mörder aus dem Schauerwald
Schneeflocke.
„Aber bleibt nicht so lange weg“, sagte
Gaby, „sonst friere ich hier an.“
„Wir peilen die Lage, schlagen einen
Bogen und nähern uns Nummer elf von der Rückseite her“, erklärte Tim. „Wenn wir
nichts entdecken, werde ich unter einem Vorwand an der Haustür klingeln. Wir
müssen uns ein Bild machen von diesem Jokel.“
Gaby sah ihnen nach, als sie im
Schneegestöber verschwanden.
Dichter und dichter zogen sich die
weißen Schleier zusammen.
Gaby trat von einem Fuß auf den andern.
Oskar wälzte sich im Schnee, sprang auf
die Pfoten, schüttelte sich und begann wieder zu kugeln.
Gaby dachte nach über Flühter und
Röder.
Nach wie vor war sie davon überzeugt,
daß dem Häftling Unrecht geschah.
Während sie gedankenvoll ins Nichts
blickte, stand Oskar plötzlich stocksteif.
Er reckte den Kopf vor.
Das Nackenhaar sträubte sich.
Er starrte ins Schneegestöber, und Gaby
blickte in diese Richtung. Was war das?
Gabys Herz machte einen
Acht-Meter-Sprung und begann dann zu sprinten.
Ein dunkler Schatten, vierbeinig und
mindestens so groß wie ein Kalb, schob sich durch den Flockenwirbel heran.
Oskar begann zu winseln und drückte
sich eng an Gabys Beine.
Schritt für Schritt näherte sich der
Mastiff.
Gaby konnte sich nicht rühren.
Sie wußte auch, daß sie nicht um Hilfe
rufen durfte. Das hätte den Hund nur gereizt.
20. Ein neuer Freund
Wie die Räuber, dachte Tim nach einem
Blick über die Schulter, wer uns sieht, ruft die Polizei.
Er schnürte voran, geduckt natürlich.
Argwöhnisch spähte er nach allen
Seiten.
Hinter ihm kam Karl, geduckt natürlich
und mit so vorsichtigen Schleichschritten, als wollte er keine Spuren
hinterlassen im Schnee.
Klößchen sicherte nach hinten, geduckt
natürlich und beide Backen voller Schokolade, weshalb er schnorchelnd wie ein
Ertrinkender durch die Nase atmete.
Tim erreichte den rückseitigen
Jokel-Zaun.
Aha!
Schräg hinter dem Haus parkte der
grün-gelbe Kastenwagen.
Tim erkannte beide Farben.
Denn Schnee bedeckte nur Dach und
Kühlerhaube des Fahrzeugs.
Der TKKG-Häuptling äugte zu dem
Schuppen.
Es war tatsächlich ein Schuppen,
allerdings ein großer mit stabilen Wänden und breitem Dachrand vorn.
Die Tür bestand nicht aus Brettern,
sondern aus dickmaschigem Draht.
Zweifellos war das der Hundezwinger.
Tim machte seine Freunde darauf
aufmerksam.
Eine Weile stierten alle zu der
Maschendraht-Tür.
Schlief der Mastiff?
War er im Haus?
Oder streunte er, phosphorfarben
angepinselt, durch einsame Landstriche, um dort Radler und Wanderer mörderisch
anzufallen?
Kein dicker Schädel zeigte sich hinter
dem Draht.
Außerdem — tatsächlich — war die
Schuppentür nicht ganz geschlossen.
Tim sah jetzt, daß sie nur im Rahmen
lehnte; und der Riegel befand sich in der Position OFFEN.
„Wir können über den Zaun“, sagte Tim
leise. „Das Schoßhündchen ist nicht in Sicht. Wir schleichen ans Haus und
werfen einen Blick in die Fenster.“
„Mehrere, bitte“, witzelte Klößchen. „Sonst
lohnt sich die Mühe nicht.“
Tim flankte hinüber.
Karl tat es ihm nach, blieb aber hängen
und purzelte auf der anderen Seite in den Schnee.
Einige Zeit war der dünne Schlaks damit
beschäftigt, seine Brille zu säubern.
Klößchen kletterte hinüber, brach den
oberen Teil einer Latte ab und hätte sich beinahe gepfählt, also aufgespießt.
Er kaute noch.
Nur sechs Fenster wies der Altbau an
der Rückseite auf.
Zwei waren guckloch-winzig und innen
verhängt, gehörten zu Klo und Speise- oder Besenkammer.
Die beiden Fenster im Obergeschoß
hielten mit einem roten und einem blauen Vorhang die Außenwelt fern.
Hinter den Parterre-Fenstern glomm
trübes Licht.
Tim rannte nach links, dicht am
Schuppen vorbei und vermied damit, daß er aus den Parterre-Fenstern gesehen
wurde — falls dort jemand zufällig an die Scheibe trat.
Die Jungs erreichten die Hausecke.
Schneeflocken setzten sich in die Fußspuren.
Nur Minuten würde es dauern — und die
Tapsen waren nicht mehr zu sehen.
Mit dem Rücken an der Hauswand schob
sich Tim zu dem ersten Fenster.
Karl und Klößchen schlossen sich an.
*
Er kam, unaufhaltsam, wie das Unheil
persönlich: der riesige Mastiff.
Das weiße Fell der linken Vorderpfote
reichte bis zur halben Beinlänge hinauf. Im mächtigen Schädel schimmerten die
Augen.
Gabys Blut hatte sich in Himbeereis
verwandelt.
Der Schreck lähmte Arme und Beine.
Oskar zog sich ganz hinter Gabys
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