Der Mörder ohne Eigenschaften: Ein Fall für Enzo Mackay (German Edition)
pochenden Schläfen stand Enzo mehrere Minuten da, blickte die Rue de la République herauf und herunter und dann über den Platz. Dicht an dicht zogen die Autos an ihm vorüber und spuckten Gift und Galle in die kühle Novemberluft, doch von Bright war weit und breit nichts zu sehen. Enzo hatte ihn höchstens für einen Moment aus den Augen gelassen, doch in dieser kurzen Zeit hatte er es geschafft, sich in nichts aufzulösen.
Er hatte weiche Knie, als er die Straße überquerte, seine Tasche mit dem Laptop in den Kofferraum seines Wagens packte und sich aus Angst, Bright könnte aus irgendeinem unerwarteten Versteck hervorstürzen, ständig umsah. Doch nichts geschah. Kein Bright. Kein Angriff. So weit das Auge reichte, nur der alte Mittelmeerhafen Collioure in seinem gemächlichen Trott außerhalb der Saison.
Mit einer Mischung aus Ungewissheit, Wut und Angst saß Enzo angespannt am Lenkrad. Ein paar Sekunden lang schwankte er, ob er den Plan, nach Aubagne zu fahren, über Bord werfen sollte. Andererseits gab es keine andere Möglichkeit. Was blieb ihm denn sonst übrig, als den einmal eingeschlagenen Weg zu Ende zu gehen?
Er verließ den Marktplatz und fuhr durch die Stadt, an der Sardellenfabrik vorbei und von dort aus auf die Straße, die sich den Hügel hinauf zur zweispurigen Schnellstraße Richtung Perpignan schlängelte. Im Innenspiegel rückte die Stadt in immer weitere Ferne, bis das Meer in einen dunstigen Horizont überging. Er hatte mehrere Fahrzeuge hinter sich. Eins, in dem nur ein dunkelhaariger Fahrer saß, ein anderes mit einer vierköpfigen Familie. Die anderen konnte er nicht sehen, und als das Auto vor ihm das Tempo drosselte, um an der Ausfahrt Argelès-sur-Mer die Schnellstraße zu verlassen, wäre er ihm beinahe aufgefahren.
Die Fahrt nach Perpignan dauerte fast eine halbe Stunde. Er fand, wonach er suchte, in einem Einkaufszentrum am Stadtrand. Auf dem Parkplatz blieb er eine Weile stehen, um die anderen Autos zu beobachten, die nach ihm in die Einfahrt schwenkten. Von Bright keine Spur. Er wartete noch einige Minuten und kam schließlich zu dem Schluss, dass der Mörder sich nicht zeigen würde, selbst wenn er irgendwo in der Nähe war. Eine Vorstellung, die Enzo keineswegs beruhigte, sondern umso mehr zermürbte.
Er ging in ein Geschäft für Herrenmode und suchte sich an einer langen Kleiderstange einen dunkelblauen Anzug in XXL aus, anschließend ein weißes Hemd in derselben Größe. Bei einem auf den kleineren, schmaleren Typ des Südländers zugeschnittenen Kleidungsangebot war für Enzos kräftigen schottischen Körperbau das Größte gerade groß genug. Zuletzt kaufte er eine Krawatte. Er konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal eine getragen hatte. An der Kasse bezahlte er alles zusammen und fragte, ob er sich noch im Laden umziehen könne.
Eine Plastiktüte mit den alten Sachen in der Hand, trat er aus dem Geschäft und erkannte sein Spiegelbild in der Schaufensterscheibe kaum wieder. Ein Fremder in einem Anzug, steif und unbehaglich. Lediglich der Pferdeschwanz verriet, dass er nicht ganz der konventionelle Typ war, als der er sich ausgeben wollte. Und die abgewetzten weißen Turnschuhe. Die störten das Bild noch.
Also folgte ein Besuch im Laden nebenan, wo er ein Paar harte schwarze Lederschuhe kaufte, die ihm die Füße einzwängten und schon auf dem kurzen Weg zum Wagen unangenehm scheuerten. Als er wieder hinter dem Lenkrad saß, löste er seine Haare und zog sie anschließend so straff nach hinten, wie er konnte, damit der Pferdeschwanz möglichst wenig auffiel. Am Ende bescheinigte er sich selbst, dass die Maskerade reichte, um als Anwalt durchzugehen. Selbst wenn er dabei eher wie einer von der schmierigen Sorte aussah, die auf dem Polizeirevier herumlungerte, um neue Klienten zu gewinnen.
Er fuhr vom Parkplatz, reihte sich in den Verkehrsfluss auf der Umgehungsstraße zur Autobahn A9 Richtung Norden ein und warf einen Blick in den Rückspiegel.
In geringem Abstand folgte ihm ein schwarzer Renault Scenic. Am Steuer saß Rickie Bright, der seine kalten blauen Augen hinter einer Ray-Ban-Sonnenbrille verbarg.
* * *
Bright blieb auf dem gesamten Weg nach Aubagne immer höchstens ein paar Wagenlängen hinter Enzo zurück. Es waren die nervenaufreibendsten dreieinhalb Stunden, die er je ertragen musste. Unablässig sah er in die Rück- und den Innenspiegel. Bright war immer da, stets im Abstand von ein, zwei Autos, und behielt Enzo permanent im Visier.
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