Der Mörder ohne Eigenschaften: Ein Fall für Enzo Mackay (German Edition)
Ruhm vergangener Heldentaten. Die Wände waren mit Gewehren, Flaggen und Emblemen behängt, in den Schaukästen waren Orden und Memorabilien zu besichtigen. Ein rotes képi , ein Paar weiße Handschuhe, ein Gürtel, ein Brief an eine längst vergessene Geliebte, der niemals abgeschickt worden war. Enzo blickte in das Dunkel des Raums, in dem die Holzhand von Capitaine Jean Danjou aufbewahrt wurde, einem der höchstdekorierten Offiziere in der Geschichte der Legion. Mit ein paar hundert Soldaten hatte er es 1862 mit der mexikanischen Armee aufgenommen und war im Gefecht gefallen. Nur zwei seiner Soldaten überlebten das Gemetzel und wurden verschont, damit sie seine Leiche nach Frankreich überführen konnten.
«Monsieur Gold?» Enzo drehte sich um, und aus einem hell erleuchteten Büro trat ein junger Soldat. «Wenn Sie mir bitte folgen?»
Sie begaben sich durch einen Flur zu einer Tür an der Rückseite des Gebäudes und traten hinaus ins Freie. Als sie die Treppe zu dem langen weißen Verwaltungsgebäude auf der Hügelkuppe hinaufstiegen, warf Enzo einen Blick zurück und sah, dass Bright immer noch auf dem Parkplatz wartete.
* * *
«Mit wem hatten Sie noch gleich telefoniert?» Captain Mérit saß hinter seinem Schreibtisch und musterte ihn mit einem unbehaglich intelligenten Blick.
«Ich habe nicht angerufen. Das war unsere Kanzleisekretärin. Sie erhielt nur die Auskunft, falls wir solche Informationen wünschten, müssten wir persönlich vorstellig werden.»
«Unsere Akten sind vertraulich, Monsieur Gold.»
«Das ist mir klar. Ich hege auch nicht den Wunsch, Einsicht zu nehmen. Uns ist lediglich an den Namen der nächsten Angehörigen gelegen, falls es welche gibt.» Er griff in seine Innentasche und holte ein Notizbuch heraus. «Und schließlich ist der Mann tot, folglich verletzen wir nicht sein Recht auf Anonymität.» Er blätterte in seinem Notizbuch. «Nach meinen Unterlagen ist William Bright im Dezember 1986 der Fremdenlegion beigetreten, mit achtzehn Jahren. Sie haben ihm eine neue Identität verschafft. Yves … Yves …» Enzo blätterte weiter, als wäre ihm der Nachname momentan entfallen und er suchte danach.
Captain Mérit half dankenswerterweise aus. «Labrousse.» Enzo konnte sein Glück kaum fassen. Er hätte aufstehen und gehen können, doch er musste das Täuschungsmanöver zu Ende führen. Mérit öffnete vor sich auf dem Schreibtisch einen Ordner und nahm die oberste Akte heraus. Enzo sah, dass sie mit einem Foto versehen war. «1989 auf Antrag die französische Staatsbürgerschaft erhalten. Ende 1991 ehrenhaft entlassen. War 1987 im Tschad im Einsatz, 1990 im Golfkrieg, wo er verwundet wurde und sein halbes rechtes Ohr verlor.» Er blätterte die anderen Seiten der Akte durch und fluchte. « Merde! Offenbar fehlen sein Antragsformular und seine Personenüberprüfung in der Akte.» Er schlug den Ordner zu. «Wenn Sie mich einen Moment entschuldigen.» Er stand auf und verließ den Raum.
Enzo saß da und horchte auf die Stille. Inzwischen war es draußen fast dunkel, und der letzte rote Schimmer verblasste am westlichen Horizont. Er verrenkte den Kopf, um das Etikett auf der Vorderseite von Mérits Ordner zu lesen: Rekrutenaufnahme Dezember 1986 . Einer spontanen Eingebung folgend drehte er den Ordner zu sich herum und brachte es irgendwie fertig, den ganzen Inhalt auf dem Boden auszuleeren. «Mist!» In Panik sammelte er hastig alles wieder ein und stopfte es in den Ordner. Solange Mérit nicht hineinsah, würde er nicht bemerken, dass die Reihenfolge völlig durcheinander war. Enzo war gerade dabei, den Ordner zuzuklappen und zurückzulegen, als sein Blick auf das Foto der Akte fiel, die jetzt zuoberst lag. Ihm stockte der Atem, als er in das Gesicht des Mannes blickte, der ihn zum Tode verurteilt hatte. Philippe Ransou. Frankokanadier. Klarname Jacques Of. Demnach war es kein Zufall, dass Bright alias Labrousse ausgerechnet Ransou beauftragt hatte, den guten Doktor zu mimen. Sie waren im selben Monat der Legion beigetreten, hatten wahrscheinlich die Ausbildung zusammen gemacht, waren Waffenbrüder gewesen. Ransou war jemand, dem er hundert Prozent vertrauen konnte.
Enzo hörte Schritte vor der Tür, klappte hastig den Ordner zu und legte ihn an seinen Platz. Mérit kam mit einem Blatt Papier zurück. «Davon habe ich Ihnen eine Kopie gemacht. Unter ‹Nächste Angehörige› hat er nur drei Namen genannt.» Er las sie ihm vor: «Eltern: Rod und Angela. Schwester: Lucy.» Er
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