Der Mörder ohne Eigenschaften: Ein Fall für Enzo Mackay (German Edition)
Informationen an den französischen Kollegen weiter. Aber erst mal müssen die Leute hier raus.»
«Nicht, bevor wir anderen wissen, was wir inzwischen unternehmen können.» Alle Köpfe flogen zu Nicole herum, die plötzlich verlegen wurde. Und dann trotzig hinzufügte: «Jedenfalls werde ich nicht rumsitzen und Däumchen drehen, während Monsieur Mackay hier drinnen verfault. Irgendwas werden wir doch wohl machen können.»
«Sie hat recht, Dad», bekräftigte Kirsty. «Irgendwas fällt dir doch sicher ein. Immerhin bist du Tatortanalytiker.»
«Glaubt mir, ich hab viel darüber nachgedacht», erwiderte Enzo mit Nachdruck. «Wenn ich in dem Fall selbst ermitteln könnte, würde ich mit der getürkten Praxis in der Rue des Trois Baudus anfangen. Jemand hatte dort Zugang. Jemand mit einem Schlüssel.» Er hielt nur einen kurzen Moment inne. «Und die Haare, die an der Leiche gefunden wurden? Ich kann mir ziemlich gut vorstellen, wo die herkamen.»
* * *
Die Kathedrale von St. Étienne stand im kulturellen und religiösen Herzen der alten Römerstadt Cahors, ein überwältigendes Bauwerk, das spätromanische und frühgotische Elemente vereinte. Dem Erscheinungsbild nach eher eine Festung als ein Gotteshaus, war sie im elften Jahrhundert von Bischöfen errichtet worden, die zugleich als mächtige Feudalherren ihren aristokratischen Stand in der Stadt verteidigen wollten. Inzwischen waren dem Bauwerk geruhsamere Zeiten vergönnt; es diente den Tauben gleichermaßen als Sitzstange und stilles Örtchen. Vor dem prächtigen Buntglas des Bogenfensters in der Apsis lag der winterlich karge Kirchpark, den man vom Fenster des Salons Coiffure Xavier überblickte.
Xavier behandelte gerade den Kopf einer Dame mit vogelartigem Gesicht im mittleren Alter, deren Haar vorzeitig ergraut war und alarmierend auszudünnen schien, mit einer roten Hennatönung. Im Salon war es heiß, die Luft stank nach Ammoniak. Die Frau wollte sich die Kopfhaut genauso einfärben lassen wie die Haare, um die kahlen Stellen zu verbergen. Nachdrücklich versuchte Xavier, ihr klarzumachen, dass die Maßnahme nicht überzeugen würde, als die Tür aufflog und die darüber angebrachte Klingel ertönte.
Xavier spürte sofort die Feindseligkeit, die ihm entgegenschlug. Bei einer der beiden jungen Frauen hatte er das vage Gefühl, sie von irgendwoher zu kennen. Dass er den jungen Mann schon gesehen hatte, wusste er genau. Einen solchen Körper, das Ergebnis vieler Stunden beharrlichen Trainings, vergaß man nicht so schnell. Doch so attraktiv er war, wirkte seine Körpersprache im Augenblick eindeutig aggressiv. Xavier trat einen Schritt von dem hennagefärbten Kopf zurück. «Bonjour, Messieurs Dames.» Er musterte die Besucher argwöhnisch. «Was kann ich für Sie tun?»
Kirsty sah sich mit verächtlicher Miene in dem vollgestopften, engen Laden um. Wieso zum Teufel kam ihr Vater hierher, um sich die Haare schneiden zu lassen? Als könne sie die Gedanken ihrer Schwester lesen, sagte Sophie: «Er geht einmal im Monat am Donnerstag hierher. Donnerstag ist Schulungstag.»
Kirsty verdrehte die Augen und stieß einen Seufzer aus. Es war typisch, dass ihr Vater das Allerweltsklischee des geizigen Schotten bediente. Zu Xavier gewandt sagte sie: «Sie schneiden unserem Vater die Haare.»
Xavier sah sie verständnislos an. «Wer ist Ihr Vater?»
«Enzo Mackay», sagte Sophie. «Und Ihretwegen sitzt er jetzt unter Mordverdacht im Gefängnis.»
Xavier erbleichte. «Meinetwegen? Ich habe in meinem ganzen Leben niemanden umgebracht!»
«Es läuft mir den Nacken runter.» Die vogelartige Dame wand sich auf ihrem Sitz, und Xavier spähte flüchtig zu den roten Rinnsalen auf der weißen Haut hinüber, die unter dem Plastikumhang verschwanden. Doch er hatte Wichtigeres zu tun.
«An der Leiche einer Frau, die vor drei Tagen hier in Cahors ermordet wurde, hat man Haare gefunden, die mit denen meines Vaters übereinstimmen», klärte ihn Kirsty auf.
Sophie setzte nach: «Aber das ist eigentlich nicht möglich, weil er nicht da war.»
Das Schlusswort gehörte Kirsty: «Und ganz sicher hat er diese Frau nicht ermordet.»
Blut schoss in Xaviers bleiche Wangen. «Ich sehe nur nicht, was das alles mit mir zu tun haben soll.»
«Xavier, ich merke, wie es mir den Rücken herunterläuft …»
Bertrand machte einen bedrohlichen Schritt auf den Friseur zu. Instinktiv wich Xavier zurück, der die Nöte des Rotschopfs immer noch völlig ignorierte. «Wir können die
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