Der Mörder ohne Eigenschaften: Ein Fall für Enzo Mackay (German Edition)
sein, um zu merken, dass Simon angetrunken war. Er hatte einen leicht glasigen Blick und sprach überdeutlich, um nicht zu lallen.
Er begrüßte Enzo auffällig unterkühlt mit einem kurzen Händedruck, bevor er Kirsty so überschwänglich in die Arme nahm, dass er sie fast hochhob.
«Was machst du denn hier?», fragte sie. «Ich dachte, du hättest einen Prozess in Oxford.»
«Die Staatsanwaltschaft hat sämtliche Klagen fallengelassen. Aus heiterem Himmel. Offenbar haben sie ein entscheidendes Beweismittel versiebt und konnten es im Prozess nicht vorlegen. Mein Mandant verließ das Gericht als freier Mann, und ich konnte nach Hause fahren, um mein Lieblingsmädchen zu sehen.»
Auf einer Seite der riesigen Halle waren für Schlafzimmer und Bad Wände eingezogen. Der übrige Raum war nur durch das Mobiliar in einen Wohn-, Ess- und Kochbereich unterteilt. Zusätzliche Akzente wurden durch riesige Topfpflanzen mit fleischigen Blättern, Palmwedeln und Blüten gesetzt.
Die indirekte Beleuchtung brachte die roten Klinkerwände und die Stahlträgerkonstruktion gut zur Geltung. Die hohen Fenster an einer der Wände lagen zur Straße hinaus, an der Rückseite führten Glastüren auf einen schmiedeeisernen Balkon. Simon hatte hier fast die gesamten fünfzehn Jahre seit seiner Scheidung allein gelebt. Zwar hatte er sich im Lauf der Zeit auf eine Reihe jüngerer Frauen eingelassen, aber keine der Beziehungen hatte die erste Phase des Enthusiasmus und des sexuellen Rauschs überdauert.
An der Wand hing eine zwölfsaitige Akustikgitarre. Enzo deutete mit dem Kopf darauf. «Spielst du noch?»
«Nur zur Unterhaltung meiner Freundinnen.»
«Ah, das erklärt, wieso sie bei dir Schlange stehen.»
Normalerweise hätte Simon gelacht. Ihr ganzes Leben lang hatten sie sich auf diese Weise gegenseitig auf die Schippe genommen. Doch er wandte sich ab. «Ich weiß nicht, was ich euch zu essen anbieten soll.»
«Wir könnten ja irgendwo in ein Restaurant gehen», schlug Kirsty vor.
Doch Simon wischte die Idee schnell vom Tisch. «Nein, ich habe Käse im Kühlschrank und Wein im Regal. Das müsste französisch genug sein, um deinen Vater glücklich zu machen.»
Er öffnete eine Flasche australischen Cabernet Sauvignon des Weinguts Wolf Blass. «Tut mir leid, hab keinen Tropfen aus Frankreich zu bieten. Mittlerweile ziehe ich australische oder kalifornische Sorten vor. Sogar chilenische. Heutzutage kostet anständiger französischer Wein ein Vermögen.»
Sie saßen um den Tisch im Küchenbereich, wo sie eine Lampe so weit von den Deckenträgern heruntergezogen hatten, dass sie alle drei mit ihrem Lichtkegel erfasste. Simon bot seinen Gästen verschiedene Käsesorten auf einem Holzbrett an, dazu Brot, das er in Alufolie im Ofen aufgewärmt hatte. Er füllte ihre Gläser und nahm einen ausgiebigen Schluck, bevor er sich zurücklehnte und Enzo und Kirsty ansah. «Ihr habt mir nicht verraten, was euch nach London führt.»
«Dad hat DNA-Spuren an alten Beweismaterialien gesichert und den Mörder bis zu einer Adresse in Clapham verfolgt.»
Simon warf Enzo einen finsteren Blick zu. «Und aus welchem kühnen Grund hast du Kirsty mitgeschleift?»
Doch Kirsty beantwortete die Frage selbst: «Ich war die Einzige, die ihn wirklich gesehen hat. Es war derselbe Kerl, der in Straßburg versucht hat, mich umzubringen. Nur dass er es, wie sich dann rausstellte, gar nicht war. Der Mörder hat einen Zwillingsbruder, der ihn für tot gehalten hat. Der war ziemlich geschockt, als er erfuhr, dass sein Bruder noch am Leben war. Und dann haben wir den echten Mörder draußen vor der Wohnung seines Zwillings gesehen.»
«Was?»
«Er hat auf der Straße gewartet und ist uns dann in die U-Bahn gefolgt. Aber an der London Bridge haben wir ihn abgeschüttelt.» Sie lachte und griff nach Enzos Hand, um sie zu drücken. «Dad war so albern. Er wollte, dass wir wieder in den Zug springen, aber ich hab zwei Polizisten mit Maschinenpistolen erzählt, der Typ hätte sich vor mir entblößt, und dann musste er schleunigst in den Zug zurück. Du hättest sein Gesicht sehen sollen, als der Wagen mit ihm im Tunnel verschwunden ist und wir noch auf dem Bahnsteig standen.»
Doch Simon konnte ihr Vergnügen nicht teilen. Er beugte sich über den Tisch zu Enzo. «Du Vollidiot! Ich dachte, ich hätte dir unmissverständlich klargemacht, diesen ganzen Schwachsinn dranzugeben. Du setzt das Leben anderer Menschen aufs Spiel, das kann dir doch nicht ganz entgangen
Weitere Kostenlose Bücher