Der Moloch: Roman (German Edition)
nachzudenken. » Woher stammen deine Informationen?«
» Von hier und dort. Gerüchte, Klatsch und Spekulationen. Ich habe viele Leute in meinem langen Leben getroffen, und etliche von ihnen stehen noch immer in meiner Schuld.«
» Vor wem genau warnst du mich eigentlich?«, fragte er frustriert.
» Genau?«, äffte sie ihn nach. » Das solltest du besser wissen als ich. Wer will deinen Tod? Du bist jetzt ein alter Mann. Sag du mir, für wen du eine Bedrohung darstellst, dann sage ich dir, wer dein Feind ist.« Sie machte eine kleine Pause. » Weißt du, was dein Verbrechen war?«, fragte sie ihn dann. » Warum sich der Kaiser gegen dich gestellt hat?«
Bartellus hatte sehr viel Zeit gehabt, darüber nachzudenken, und war im Laufe der Jahre zu sehr vielen verschiedenen Schlussfolgerungen gekommen. » Ich weiß es nicht«, sagte er jedoch. » Er sprach von Vertrauensbruch, Verrat, die üblichen Floskeln eben. Ich hätte natürlich die Anzeichen erkennen müssen. Ich hatte sie so oft zuvor gesehen, bei anderen Männern. Zuerst hörte er auf, sie ›mein alter Freund‹ zu nennen. Dann gab es nur noch kühle Blicke, wo zuvor herzliche Umarmungen gewesen waren. Bevor meine Freunde zu mir kamen, hörte ich, es habe ein Treffen der Generäle gegeben, von dem man mir nichts gesagt hatte. Astinor meinte, es hätte nichts zu bedeuten gehabt, es wäre nur ein Gespräch über Nachschubprobleme gewesen. Ich wollte ihm glauben.«
» Wir alle neigen dazu, das zu glauben, was wir gern glauben wollen«, bemerkte sie. » Als ich in die Cité zurückkehrte, sagte man mir, du wärst hingerichtet worden. Angeblich hättest du dich mit dem Thronprätenden aus Gaeta verschworen. Ich habe seinen Namen vergessen. Er hatte wohl eine kurze, ruhmreiche Zeit genossen, bevor er gefangen genommen und abgeschlachtet wurde. Andere dagegen behaupteten, der Unsterbliche würde sich wegen des Prozesses der Geiseln an dir rächen.«
Bartellus runzelte die Stirn. Darauf war er noch nicht gekommen. » Aber das war doch schon so lange her. Über zwanzig Jahre.«
» Siebenundzwanzig«, korrigierte sie ihn knapp. » Wer weiß schon genau, was in seinem Kopf vorgeht? Wir wissen jedenfalls, dass er ein sehr gutes Gedächtnis für Kränkungen hat.«
» Dann wäre es aber naheliegender gewesen, dir die Schuld zu geben.«
» Das wagt er nicht«, antwortete sie hochmütig. » Marcellus ist vielleicht der Einzige, den er noch fürchtet.« Sie schüttelte den Kopf. » Er würde es niemals wagen, gegen mich vorzugehen.«
» Marcellus ist loyal ihm gegenüber?«
» Peinlichst loyal.«
Bartellus lehnte sich zurück und nippte an seinem Wein. Dann warf er einen Blick aus dem kleinen Fenster und sah, dass die Sonne untergegangen war und die Nacht heraufzog.
» Es wird dunkel«, sagte er.
» Dann werde ich mich darauf verlassen müssen, dass meine Kriegerinnen mich sicher nach Hause bringen.«
Er erinnerte sich an jenen Tag vor langer Zeit in der Kanalisation und an die aufsässige rothaarige Frau in der Halle der Wächter. » Ist Indaro immer noch eine dieser Kriegerinnen?«
» Nein«, erwiderte Archange gereizt. » Dank dir habe ich Indaro kurz nach unserem letzten Treffen verloren. Du hast sie so beschämt, dass sie in die Armee zurückgekehrt ist. Sie hat sich der Maritimen angeschlossen. Mit allergrößter Wahrscheinlichkeit ist sie jetzt tot.«
Die vollkommene Vernichtung der Maritimen im Sommer zuvor war etwas, was Bartellus immer noch nicht begreifen konnte. » Was ist da eigentlich geschehen?«, erkundigte er sich. » Wie konnten die Blauen eine ganze Armee vernichten?«
Sie schüttelte den Kopf. » Ich verstehe nichts von militärischen Fragen.«
» Und …« Einen Augenblick lang konnte er sich nicht einmal an den Namen erinnern. Doch, selbstverständlich. Astinor. » Astinor Rotfall? Was ist aus ihm geworden?«
» Ach ja, der Freund, der dich verraten hat. Astinor ist vor fünf Jahren gestorben. An einer Geschwulst im Bauch. Es war ein langer, schmerzhafter Tod. Er hatte nur wenig Zeit, die Früchte seines Verrats zu genießen.« Sie sah Bartellus an. » Ist dir das eine Genugtuung?«
Er schüttelte den Kopf. Das war es nicht. Sie saßen eine Weile schweigend da. » Warum bist du hergekommen, Archange? Du hättest mir viel einfacher eine Botschaft schicken können, wenn man bedenkt, wie spärlich die Informationen sind, die du mir geliefert hast.«
» Ich bin auch nicht gekommen, um dir Informationen zu liefern«, konterte sie pikiert.
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