Der Moloch: Roman (German Edition)
Ufer?«, fragte sie ihn.
Er zuckte die Schultern. Sie konnte die Bewegung in der Dunkelheit kaum erkennen. » Vielleicht wird der Untergrund fester, je weiter wir uns vom Fluss entfernen.«
Es dauerte zwei Stunden, gemessen am Licht der Laternen, bis sie die Holzbrücke erreichten, die einst von den Siedlern benutzt worden war. Indaro hob ihre Lampe hoch.
» Ich bin froh, dass wir uns entschlossen haben, nicht den Weg über das Südufer zu nehmen«, sagte Gil, der hinter sie getreten war. Sie nickte. Die Brücke war an etlichen Stellen zerbrochen, und hölzerne Planken hingen in den langsam fließenden Abwasserstrom hinab. Wo sie noch befestigt waren, waren sie verfault. Ratten oder vielleicht auch Katzen könnten sie überqueren, aber Indaro vermutete, dass diese schimmeligen, schlammigen Planken das Gewicht eines erwachsenen Menschen niemals tragen würden.
» Vielleicht wurde diese Siedlung deshalb verlassen?«, spekulierte sie. » Es dürfte gewiss nicht einfach sein, sie wieder aufzubauen.«
» Wo ist der Eingang, den du von den Hallen hierher genommen hast?«, erkundigte sich Gil bei Elija.
Der Junge streckte die Hand aus. » Da drüben. Er liegt genau im Osten gegenüber dem Höhleneingang, denn wir konnten die untergehende Sonne sehen. Dieser Weg führt dorthin.« Er warf einen Blick über den Fluss auf die Siedlung. » Ich frage mich, was mit ihnen passiert ist«, meinte er.
» Ertrunken in der Flut oder von den Patrouillen der Cité ausgelöscht.« Indaro zuckte mit den Schultern. » Jedenfalls sind sie jetzt alle tot.« Sie warf einen Blick auf Elija und glaubte, ein schwaches Lächeln auf seinem Gesicht zu erkennen.
» Ich wünschte, ich könnte das Amita zeigen«, meinte er.
36
Emly kam allmählich wieder zu sich. Sie lag auf einer schmalen Pritsche, gewärmt von ihrem schweren Wintermantel, der sie bedeckte. Unter sich, in der Küche der Bäckerei, in der sie sich seit drei Tagen versteckt hatten, hörte sie das Klappern von Pfannen und die scharfen Befehle und jammernden Klagen der Köchin und ihres Ehemannes, während sie das Brot für den Tag vorbereiteten. Es waren tröstliche Geräusche und Emly schlief wieder ein.
Als sie ein zweites Mal aufwachte, hatte der Regen, der die ganze Nacht auf das Dach gehämmert hatte, endlich aufgehört. Sie schlug die Augen auf und sah die rosa Strahlen des Sonnenaufgangs durch die schmutzigen Fenster scheinen. Der Dachboden war von rosigem Licht erfüllt. Emly seufzte und streckte ihre Nase unter dem Mantel heraus. Die Cité lag im tiefsten Winter, aber die Küche im Untergeschoss hielt den winzigen Dachboden warm, sobald der Ofen für das Tagwerk angeheizt wurde. Trotz allem, was passiert war, hatte Emly sich seit Wochen nicht mehr so geborgen gefühlt.
Sie hob den Kopf und verdrehte den Hals. Evan lag auf dem anderen Bett, flach auf dem Bauch. Er hatte das Gesicht in die Kissen gedrückt, einen Arm über den Kopf gelegt, und die Finger der anderen Hand streiften über die Bodenbretter. Sie konnte das verblasste Rot seiner Jacke sehen, das rotblonde Haar, das ihm wirr vom Kopf abstand. Er schlief wie immer wie ein Toter.
Er hatte ihr einmal erzählt, dass ein Krieger überall schlafen konnte, aber wenn nötig sofort wach war. Sie rollte sich herum, strich mit der Hand über den staubigen Boden und nahm den Kieselstein hoch, den sie aus ihrem Schuh geholt hatte. Sie warf ihn auf den schlafenden Soldaten. Der Stein traf ihn hart am Kopf. Er rührte sich nicht. Sie lächelte.
» Betrachtest du es eigentlich immer als deine Pflicht, mich zu retten?«, hatte sie ihn gefragt, als er sie in ihrem Versteck zwischen den Fässern auf der Rückseite der Herberge zu den Leuchtenden Sternen gefunden hatte, ihrem verabredeten Treffpunkt, falls irgendetwas Schlimmes geschah.
» Das ist keine Pflicht«, hatte er mürrisch erwidert. Sie wusste, dass er nur wütend auf sich selbst war, weil er nicht rechtzeitig zur Stelle gewesen war, um zu verhindern, dass man Bartellus abholte.
» Es waren sechs Soldaten«, hatte sie ihm freundlich versichert. » Du wärst ihnen zahlenmäßig unterlegen gewesen. Es hätte nicht viel genutzt, wenn du ebenfalls gefangen genommen worden wärst.«
Er hatte sie lange und gründlich angesehen. » Du hast nicht viel mit Kriegern zu tun gehabt«, hatte er schließlich gesagt, » habe ich Recht, Mädchen?«
Sie schüttelte den Kopf. Er war der erste Krieger, dem sie je begegnet war, abgesehen natürlich von ihrem Vater.
Die Soldaten des
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