Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Monat vor dem Mord

Der Monat vor dem Mord

Titel: Der Monat vor dem Mord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacques Berndorf
Vom Netzwerk:
er. Ein Mann kann derartige Probleme nicht mit seiner Tochter besprechen. Das ist Unsinn. Aber sie ist so verdammt alt, und sie findet sich in jedem Kaufhaus besser zurecht als ich.
    »Ich habe den Cognac mitgebracht«, sagte das Mädchen. »Ich trinke ihn ganz gern mit Cola.«
    Horstmann sah ihr zu, wie sie mit den Gläsern und Flaschen herumhantierte. »Was weißt du eigentlich von mir?«
    »Nicht sehr viel, oder doch sehr viel«, sagte das Mädchen. »Ich habe ziemlich viele Freiheiten. Aber nicht, weil diese Freiheiten nötig sind, sondern weil du dich zu wenig um uns kümmerst. Wahrscheinlich trägst du im Dienstimmer eine Krawatte und haust niemals auf den Tisch. Sicherlich bist du ziemlich intelligent. Viele Intelligente sind hilflos. Ich glaube, du bist hilflos.« Sie lachte ein wenig. »Das ist ein komisches Gespräch. Ich weiß wirklich nicht viel von dir. Wir haben seit zwei oder drei Jahren nicht mehr richtig zusammen gesprochen. Ich weiß, als ich noch ein kleines Kind war, hast du manchmal mit mir Ball gespielt. Irgendwann hat dann alles aufgehört. Du hast geschimpft, wenn meine Zeugnisse schlecht waren, und du hast gedacht, ich würde heulen vor Freude, wenn unter dem Weihnachtsbaum eine große Puppe lag. Ich konnte aber keine Puppen mehr sehen, und also konnte ich auch nicht heulen. Und ich habe ziemlich schnell begriffen, dass so eine Puppe nichts anderes war, als wenn irgendein Kegelbruder den ganzen Abend über Sekt spendiert. Da muss man dann auf Befehl dankbar sein. Du hast mich nicht mehr gestreichelt, und du hast mich nur immer Sabine genannt, nie mehr Bienchen wie früher. Ich rede ziemlich lange.«
    Horstmann sagte: »Ich habe einfach zu viel gearbeitet.«
    »Das ist es nicht«, sagte das Mädchen. »Du hast den Rest der Familie vergessen. Du hast nicht kapiert, wann ich meine erste Periode hatte und Harald das erste Mädchen. Du warst einfach weg.«
    »Macht es dir Spaß, mir so etwas zu sagen?«, fragte Horstmann.
    »Ja, etwas«, sagte sie. »Ich möchte übrigens einen anderen Vornamen haben. Ich möchte Melancholie heißen.«
    »Was soll das?«, fragte Horstmann.
    »Ich finde, Melancholie ist ein hübscher Name. Ich finde auch September schön.«
    »Nennt dich dein neuer Freund so?«
    »Du meinst Jo? Nein, der nennt mich Spinne.« Sie lachte verlegen. »Weißt du, woher das kommt? Ich möchte noch einen Cognac.« Sie wartete nicht ab, ob er es ihr abschlagen würde, sie goss sich einfach einen kräftigen Schuss aus der Flasche in das Colaglas. »Es ist auch egal«, sagte sie.
    Horstmann sah auf den Kiefernzweig, der fast völlig von den Fressern bedeckt war, und machte sich rasch einige Notizen. »Wie sehen andere Ehen aus, die du beobachtest?«
    »So ziemlich wie eure«, sagte Sabine. »Es ist nicht viel Unterschied.« Sie war jetzt ein wenig beschwipst und kicherte. »Irgendwann früher hat mir mal jemand gesagt, es wäre furchtbar, seine Eltern im Bett zu überraschen. Es sähe so gemein und brutal aus. Ich brauche da keine Sorgen zu haben.« Horstmann fühlte sich sehr heftig geschlagen. Er sagte: »Du bist unverschämt.«
    »Ich bin es nicht«, sagte sie. »Bei den Toreros oder bei sonstwem gibt es doch einen Augenblick der Wahrheit. Das hier ist so ein Augenblick. Mach dir keine Sorgen, Väterchen. Eines Tages schaffst du dir eine Freundin an, und alles ist geregelt, wie man sagt.«
    »Du bist siebzehn«, sagte er verzweifelt. »Als ich siebzehn war, haben wir viel mehr gelacht. Wir hatten unsere Späße und trieben unseren Ulk mit den Nachbarn. Was macht ihr?«
    »Meistens ist es langweilig«, sagte sie. »Manchmal knutschen wir ein bisschen herum. Manchmal haben wir Spaß. Manchmal gehe ich auch mit einem ins Bett. Mit Jo war ich noch nicht im Bett. Das kommt noch.« Sie kicherte.
    Es war klar, dass sie ihn schockieren wollte. Mit Sicherheit war sie noch Jungfrau.
    Horstmann dachte: Es ist von eminenter Wichtigkeit, dass sie noch Jungfrau ist. Er sagte: »Du weißt noch nichts davon.«
    »Ich weiß so ziemlich alles«, sagte sie aggressiv, und plötzlich ließ sie sich nicht mehr gehen, sondern war sehr wachsam. »Ich gebe ja zu, dass es mir noch keinen allzu großen Spaß macht. Aber nur, weil es noch ein bisschen weh tut, und weil die Jungens keine Rücksicht nehmen.« Sie ging an ihm vorbei die Treppe hoch und wirkte sehr müde und auch ein wenig traurig.
    Horstmann wusste jetzt, dass sie keine Jungfrau mehr sein konnte, und er wurde sich in einem Anfall beinahe körperlicher

Weitere Kostenlose Bücher